„Man kann nicht so tun, als sei nichts gewesen“

■ Stadtplaner Max W. Guerra über die naive Flucht des Militärs vor das Preußenschloß

Max W. Guerra arbeitet als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin.

taz: Was bedeutet der öffentliche Raum für ein solches Bundeswehrgelöbnis?

Max W. Guerra: Er dient dazu, für eine bestimmte „Stimmung“ zu sorgen, die die Funktionen des Gelöbnisses unterstreicht: Nach innen soll der Rekrut seine Verpflichtung fühlen, nach außen soll signalisiert werden, daß das Militär ein Teil der Gesellschaft ist. Das Schloß Charlottenburg wirkt weder wie ein festungsartiger Palazzo noch wie eine Trutzburg. Die Anlage vermittelt eine gewisse Heiterkeit, die dem todesschwangeren Pathos der Gelöbnisfeier tendenziell entgegenwirkt. Dies dürfte ein wichtiger Grund für die Auswahl dieser Kulisse gewesen sein. Doch dieses Gelöbnis wird ja gar nicht mehr öffentlich stattfinden – wegen der umfangreichen Absperrungen und Sicherheitsmaßnahmen. Selbst die Anwohner haben Schwierigkeiten, diesen öffentlichen Raum noch zu nutzen.

Das Preußenschloß soll ein heiterer Ort sein?

Der Ort kann nichts dafür, ihn muß man nicht verurteilen. Aber er hat mehr mit dem Krieg zu tun, als er auf den ersten Blick verrät. Und zwar als Teil des Aufstiegsprogramms des Kurfürsten Friedrich III., der auf den Städtebau und das Militär setzte, um sich zum König von Preußen zu erheben. Das Schloß steht für das preußische Militär in der Zeit vor Scharnhorst für Zwangseinquartierung und Spießrutenlaufen. Ein Militär, das keine Anknüpfung an den „Bürger in Uniform“ zuläßt. Unmittelbar kriegsnah genutzt wurde das Schloß mehrfach in diesem Jahrhundert: Während des Ersten Weltkriegs war dort ein Lazarett untergebracht, nach dem Krieg lagerte dort ein Freikorps. 1944 fand vor dem Schloß eine Durchhaltekundgebung vor 12.000 Menschen statt. Nicht zuletzt ist das Schloß durch Bombardements schwer mitgenommen worden.

Also ganz der falsche Ort?

Man kann sich nicht einfach in diese schöne Kulisse stellen und so tun, als sei nie etwas gewesen. Die Flucht der staatlich-militärischen Repräsentation nach Charlottenburg entbindet nicht von der Notwendigkeit, Geschichte zu bewältigen. Sie verweist im Gegenteil darauf, daß diese Bewältigung durch prunkvolle Zeremonien in glanzvoller Umgebung nicht zu haben ist.

Wie erklären Sie sich, daß die Bundeswehr, die sich sonst gern zivil gibt, auf dieses Ritual nicht verzichten mag?

Die Bundeswehr ist in einer Identitätskrise, sie verfügt nicht über eine akzeptable Ästhetik. Sie versucht nun, auf naive Weise an die Geschichte anzuknüpfen. Es ist jedoch bezeichnend, daß von vornherein darauf verzichtet wurde, dieses Gelöbnis vor dem Brandenburger Tor oder dem Berliner Dom zu veranstalten. Interview: Hans-Hermann Kotte