■ Bislang lautete die Devise der PDS "Veränderung beginnt mit Opposition". Doch womit endet sie? Gegebenenfalls bei einer Regierungsbeteiligung, meint der Parteivorsitzende Lothar Bisky und bietet der SPD ein gemeinsames Reformprojekt an
: "D

taz: Auf dem letzten Bundesparteitag der PDS im Januar in Magdeburg haben Sie noch davon gesprochen, die Frage einer Regierungsbeteiligung stehe für die PDS nirgends an. Plötzlich ist Ihre Partei als möglicher Regierungspartner gefragt. Was hat sich in den letzten vier Monaten verändert?

Lothar Bisky: Die Wirklichkeit hat sich schneller verändert, als ich geahnt habe. In allen politischen Parteien gibt es Unruhe, selbst in der Ost-CDU. Die Sozialdemokraten diskutieren inzwischen über eine Zusammenarbeit mit der PDS.

Muß sich jetzt auch die PDS der Frage einer Regierungsbeteiligung stellen?

Vor den letzten Wahlen haben wir gesagt, Veränderung beginnt mit Opposition. Aber für die Wahlen 1998 und 1999 wäre es gut, wenn hierzu vorher eine Meinungsbildung in der Partei stattgefunden hat.

Was raten Sie Ihrer Partei?

Ich selber wäre bei Regierungsbeteiligungen vorsichtig. Es gibt für linke und sozialistische Parteien keine Aufbruchstimmung für grundlegende politische Veränderungen.

Wenn Sie Ihre Aussage, an der PDS werde die Ablösung einer konservativ geführten Regierung nicht scheitern, ernst nehmen, dann wird die PDS mitregieren müssen. Ist die PDS darauf schon vorbereitet?

Natürlich stellt sich uns zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern, aber vielleicht auch in Sachsen-Anhalt oder Thüringen bei den nächsten Wahlen die Frage, ob wir dem Land wieder eine große Koalition aufzwingen oder ob wir ein alternatives inhaltliches Angebot machen. Aber das ist kein reines Rechenexempel. Wir müssen einige inhaltliche Positionen festlegen, an denen die PDS als sozialistische Partei zu erkennen ist. Damit wären wir in der Lage, die Frage ohne allzu viele Emotionen zu diskutieren.

Unter diesen Voraussetzungen wären Sie für eine Regierungsbeteiligung der PDS?

Ja, wenn die Bevölkerung es vor den Wahlen weiß und sich mehrheitlich bewußt für ein Reformprojekt entscheidet.

Die ehemalige stellvertretende Bundesvorsitzende Christine Ostrowski hat gefordert, die PDS soll sich in der praktischen Politik neu formieren und das Programm dementsprechend überarbeiten. Wird die PDS angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen dazu gezwungen sein?

Vielleicht werden wir in ein paar Jahren ein neues Programm beschließen, im Moment müssen wir unser Programm gegen Angriffe von rechts verteidigen.

Ostrowski verlangt zum Beispiel die Förderung des ostdeutschen Mittelstandes statt des Erhalts von Arbeitsplätzen in der Großindustrie. Die PDS hat sich immer dafür engagiert, Industriestandorte im Osten zu erhalten. Ist diese Politik der PDS eine kritische Würdigung wert?

Die Deindustrialisierung des Ostens durch die Treuhand war verheerend. Allein mit mehr Arbeitsplätzen im Mittelstand wird es hier nicht wieder aufwärtsgehen. Die wenigen verbliebenen industriellen Kerne müssen erhalten werden. Davon profitiert ja auch der Mittelstand.

Auch einige linksradikale Positionen der PDS wurden von der Pragmatikerin attackiert ...

Ich schätze Christine Ostrowski sehr. Sie spricht sehr viele Fragen an, die wir in unserer Partei intensiv diskutieren müssen. Aber die Frage des Asyls, bei der Frage, ob die PDS einfach das konservative Schema des Linksradikalismus von Chaoten und Gewaltätern übernimmt. Da bin ich entschieden anderer Meinung.

Aber gerade diese Positionen der PDS werden an der Basis vielfach nicht nachvollzogen.

In bezug auf den Antirassismus gibt es keinen großen Dissens in der Partei.

Es geht nicht um Antirassismus, sondern es geht um die Forderung nach offenen Grenzen. Christine Ostrowski fordert statt dessen ein Regularium, wie Ausländer aufgenommen und in den Kommunen untergebracht werden können.

Mit vernünftigen Leitfäden kann ich mich immer anfreunden. Mit der Tatsache, daß das Asylrecht praktisch beseitigt worden ist, will ich mich nicht abfinden.

Sie arbeiten momentan an einem Kommentar zum PDS-Programm. Wollen sie dort neue Akzente setzen?

Wir haben schon 1993 gesagt, wir müssen weiter an dem Grundsatzprogramm arbeiten. Wir müssen uns in der Partei zum Beispiel programmatisch mehr mit der Ökologiefrage beschäftigen. Nach einem längeren Diskussionsprozeß kann die Partei dann über ein neues, präzisiertes Programm entscheiden.

Wo muß das Programm präzisiert werden?

In fast allen Teilen. Es hängt doch nicht von unserem Programm ab, wie sich die Wirklichkeit entwickelt. Es hat in den letzten Jahren dramatische Veränderungen gegeben. Zunächst wollen wir dies in einer programmatischen Studie berücksichtigen. Wir müssen die Frage beantworten, wo steht die PDS heute.

An welche dramatischen Veränderungen denken Sie?

Zum Beispiel werden wir auf absehbare Zeit mit einer Sockelarbeitslosigkeit von 4 Millionen Menschen leben müssen. Im Osten können die Frauen nicht mehr selbstbestimmt ihr Leben führen. Diesen Entwicklungen kann unsere alte Programmatik nicht mehr entsprechen. Mich interessiert auch die Frage, ob nachhaltige Wirtschaftsentwicklung ein attraktives Konzept wäre. Es gibt einen großen Diskussionsbedarf in der PDS.

Muß die PDS, wie ihr Vorstandsgenosse André Brie fordert, aus ihrer „ideologischen Wolkenfestung“ herauskommen und in die Nähe ihrer Wähler rücken?

Diese Aussage von André Brie teile ich nicht. Die Stärke und Glaubwürdigkeit der PDS im Osten ist vor allem dadurch gewachsen, daß sie sich um die Probleme der Menschen vor Ort gekümmert hat.

Darum hat sich die PDS vor Ort gekümmert, der Bundesvorstand hingegen hat sich meist mit sich selbst beschäftigt.

Es gibt im Bundesvorstand teilweise noch die Vorstellung, mit Beschlüssen könne die Welt verändert werden. Aber das ist ein Irrtum. Das reine Ideologisieren in Teilen der Partei bringt nicht viel. Ich habe jedoch im Gegenteil den Eindruck, es findet zu wenig ernsthafte theoretische Auseinandersetzung in der PDS statt.

Haben ihre kommunalen Mandatsträger, Bürgermeister und Landespolitiker, die sich mit praktischen Problemen herumschlagen, nicht längst genug davon, daß ihnen jemand die Welt erklärt?

Es gibt eine Reihe von Dingen, die in der PDS sehr irdisch verlaufen. Wenn ein Bürgermeister gewählt ist, kann er nicht immer mit dem Parteibuch daherkommen. Aber er darf nicht als PDS-Politiker gewählt sein, um dann CDU- Politik zu machen. Die Wähler der PDS haben allerdings viel Verständnis, daß der PDS-Bürgermeister nicht alles machen kann, was er gern bewegen würde.

In Berlin erleben wir gerade, daß es angesichts leerer Kassen die ehrenvolle Aufgabe der PDS-Bezirksbürgermeister darin besteht, den Menschen zu erklären, warum PDS-Politik nicht finanzierbar ist.

Das ist für uns ein lehrreicher Vorgang. Die finanzielle Situation der Kommunen verändert sich dramatisch. Aber auch wenn sich hier Entwicklungen vollziehen, die die PDS nicht angestrebt hat und nicht verantwortet, ist dies kein Grund, sich aus der Politik zu verabschieden.

Was Sie über die Kommunalpolitik sagen, das wiederholt sich doch auch auf Länderebene.

Für unsoziale Beschlüsse ist die PDS nicht zu haben, das soll die SPD mit der CDU machen. Die PDS wäre bereit, ein gemeinsames Reformprojekt zu formulieren. Da muß sich die SPD entscheiden.

Was versteht die PDS unter einem Reformprojekt?

Wir treten an, damit Politik sozialer wird und transparenter. Wir wollen die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger verbessern.

Einige Mitglieder in ihrer Partei halten die Westausdehnung für gescheitert. Sie fordern, die PDS müsse sich als ostdeutsche Regionalpartei nach dem strategischen Vorbild der CSU begreifen. Darüber hinaus solle sich die PDS nicht länger links von der SPD positionieren. Sollte die PDS in die Mitte rücken?

Nein. Die überwiegende Mehrheit der Mitglieder versteht die PDS als eine sozialistische und internationale Partei. Zugleich ist die Mitgliedschaft der PDS von einer kulturellen Identität des Ostens umarmt. Diesen Widerspruch darf die PDS nicht dadurch lösen, daß sie sich einseitig zur ostdeutschen Volkspartei erklärt.

Die PDS hat verschiedene Flügel, eine kommunistische Plattform, einen ihr nahestehenden Unternehmerverband. Nahezu alle gesellschaftliche Strömungen sind in der PDS und unter ihren Wählern vertreten. Ist die PDS doch eine ostdeutsche Volkspartei?

Die Unternehmer, die in der Nähe der PDS sind, sind mittelständische Kleinunternehmer. Es freut mich, wenn sie ihre Interessen in der PDS besser aufgehoben sehen als in den anderen Parteien. Das schließt sich nicht aus. Im Gegenteil: Wir sind pluralistisch und vielfältig, das macht die PDS interessant.

In der PDS können sich die ostdeutschen Befindlichkeiten und Interessen artikulieren. Im Westen hingegen ist die PDS faktisch nicht existent. Und wo es sie gibt, versprühen die Landesverbände den sektenhaften Charme, wie er von DKP, BWK und anderen orthodoxen linken Gruppen aus der alten Bundesrepublik bekannt ist. Schadet dies dem Bild Ihrer Partei im Westen mehr, als daß es ihm nutzt?

Ich möchte nicht von diesen Gruppen repräsentiert werden. Die PDS ist keine Verlängerung beliebiger anderer Parteien. Wer Auffassungen vertritt, die von unserer Programmatik sehr weit entfernt sind, der wird sich bald von der PDS trennen. Aber die PDS hat auch im Westen ganz hervorragende Leute mit vielen Ideen. Die möchte ich keinesfalls missen. Sie treten uns gelegentlich auch mal auf den Schlips, wenn wir zu ost- spezifisch werden. Wir dürfen die Westausdehung der PDS nicht aufgeben.

Die letzten Erfolge der PDS deuten darauf hin, daß die Partei allein im Osten die Fünfprozenthürde für den Wiedereinzug in den Bundestag meistern könnte. Ist das der wahre Hintergrund dafür, die Westausdehnung in Frage zu stellen?

Ich gehe nach wie vor davon aus, daß wir 1998 für den Wiedereinzug in den Bundestag 1,5 Millionen Wählerstimmen brauchen. 1994 war es richtig, auf Direktmandate zu setzen. Aber bei den kommenden Bundestagswahlen müssen wir die Fünfprozenthürde nehmen. Es gibt im Westen Menschen, die sich für eine sozialistische Partei interessieren. Darüber hinaus werden die Grünen und die SPD mit ihrer Tendenz zur Mitte Platz auf der linken Seite des politischen Spektrums machen.

Pragmatisch heißt die Überlegung doch: die Kräfte bündeln, um bei der kommenden Bundestagswahl im Osten fünf Prozent mehr zu bekommen statt im Westen ein Prozent.

Es geht doch auch um Inhalte. Es gibt keine separaten Ostprobleme. Im Osten sind wir kompetent, da liegen unsere Schwerpunkte. Aber ich befürchte eine große geistige Verengung, wenn sich die PDS allein auf diese Region zurückziehen würde. Ein ostdeutscher Bierverein hat mit einer sozialistischen Partei nichts zu tun.

Interview: Wolfgang Gast,

Christoph Seils