Zwischen den Rillen: Durch die Trommel gesprochen
■ Produktionen, die mit dem Institut für Traditionelle Musik verschwinden würden: Altmeister Pandit Kamalesh Maitra und seine kommunizierenden Tablas
Eine der vielen Geschichten, mit denen die indische Musikkultur verquickt ist, handelt von der Geburt der Trommel aus der schieren Gewalt: Nachdem Shiva den Dämon Brityashur im Kampfe getötet hatte, nahm er die von dem Blut seines Widersachers getränkte Erde und formte daraus den Korpus einer Trommel. Alsdann häutete er seinen unterlegenen Gegner und spannte das Fell über den Korpus: Fertig war die erste Trommel, auf der sich der siegreiche Gott sogleich den Rhythmus zu seinem Triumphtanz spielte.
Etwas prosaischer, dafür aber instruktiver fällt die Darstellung der Konstruktion und Herstellungsweise der eigenwilligen Trommel „Tabla“ in dem umfassend informierenden Booklet aus, das der CD „Tabla Tarang – Melody on Drums“ beigegeben ist. Bei dieser Produktion des in Berlin ansässigen Internationalen Instituts für Traditionelle Musik handelt es sich um Aufnahmen mit dem Inder und langjährigen Wahlberliner Pandit Kamalesh Maitra, der sich diesem selten gespielten Instrument verschrieben hat. Maitra, der nun bald 70 Jahre auf der Erde zu Gast ist, erhielt seine Ausbildung in Indien unter anderem bei Uday Shankar, dem Bruder von Ravi Shankar, in dessen Gruppen und Orchestern er ebenfalls mitwirkte. Im übrigen ist die lebendig erzählte Geschichte des Musikers, einem Verständigen in die Feder diktiert, ebenfalls in dem Booklet nachzulesen.
Was eine Tabla ist, ist wohl allgemein bekannt. Aber was ist eine Tabla Tarang? Es ist ein ganzes Ensemble von zwölf und mehr Tablas verschiedener Größen – Tablas können ja, im Unterschied zu den meisten anderen Trommeln, auf eine genaue Tonhöhe gestimmt werden, je nach dem zu spielenden Raga.
Ein Raga ist allerdings mehr als eine Tonleiter. Er bestimmt zugleich melodische Grundformen und Regeln zur Gestaltung der Improvisation. Vor allem aber hat er eine bestimmte Wirkung auf den Hörer, denn zu einem Raga gehört, daß er den Geist „färbt“. Die von Maitra gespielten Ragas aus der Gruppe der Todis werden in der Morgendämmerung gespielt, wenn allgemeines Erwachen um sich greift.
Auch zur Entstehung des Raga Bilaskhandi Todi gibt es eine Geschichte: Es war einmal am Hofe des Moguls Akbar des Großen (16. Jahrhundert), da lebte ein großer Sänger, Mia Tansen genannt. Man sagte von ihm, daß er durch die Intensität seines Gesanges die Kräfte der Natur beherrschen und Feuer oder Regen hervorbrechen lassen konnte. Als er schließlich starb, versammelten sich die Meister der Musik an seinem Totenbett, um mit ihrer Gesangskunst seinen Tod zu betrauern.
So wurde die ganze Nacht gesungen, und es graute schon der Morgen, als der jüngste Sohn des Verstorbenen, Bilas Khan, seine schöne Stimme erhob und eine Komposition zu Ehren seines Vaters anstimmte.
Es heißt, die Hand des Toten habe sich erhoben, so als wolle sie ihn segnen – denn solches vermag wahrhaftige Musik. Seitdem trägt der Raga den Namen des jungen Sängers und erinnert durch seinen tiefen, trauernden Ausdruck an den unglückseligen Anlaß seiner Entstehung. Wer diesen Raga hört, wird die Geschichte verstehen.
Mit dieser Produktion stellt das Institut weniger eine traditionelle Musikkultur vor, als daß sie das Entstehen einer neuen Tradition beobachtet. Denn innerhalb der klassischen indischen Musik ist das Instrument Tabla Tarang sehr ungebräuchlich und fungiert auch nicht als Soloinstrument. Es verfügt zwar über gestimmte Tonhöhen, gilt aber nicht als melodiefähig, weil die subtil ausgestalteten glissandierenden Übergänge zwischen den Tönen nicht möglich sind.
Daher scheint es, als ob das Tabla Tarang besser nach Europa denn nach Indien paßt, da hier die Töne vornehmlich paßgenau in ein Raster sortiert werden – was asiatischen Musikern oft als kantig, wenn nicht klotzig vorkommt. Begleitet wird Maitra von Trilok Gurtu, der einer indischen Musikerfamilie entstammt, aber vielen als Schlagzeuger des Jazz und Rock-Jazz, etwa im John-McLaughlin-Trio bekannt sein dürfte.
Gerade seine Fähigkeit, über weite Zeiträume die Suppe ganz allmählich zum Kochen zu bringen, bis sich schließlich der Deckel hebt, könnte in der tiefen Vertrautheit mit den großräumigen Zyklen der indischen Musik wurzeln.
Obwohl sie instrumental ist, hat die Musik sprechenden Charakter. Und das Problem, die Reihe der Trommeln melodisch zu spielen, ist von Maitra so souverän gelöst, daß man vergißt – oder gar nicht erst auf die Idee kommt –, daß es sich bei dem Instrument um ein Schlagzeug handelt.
Bleibt nur noch anzumerken, daß der Berliner Kultursenat das Internationale Institut für Traditionelle Musik – das seit über 30 Jahren Basisarbeit leistet und ein echtes Unikat ist – wegen einer Kleckersumme schließen will. Und daß das eine Geistlosigkeit ersten Ranges ist.
Frank Hilberg
Pandit Kamalesh Maitra, Trilok Gurtu: „Tabla Tarang – Melody on Drums“ (Smithsonian Folkways SF 40436)
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