Hallo, laute Welt!

Poesie der Gefühle, Prosa der Verhältnisse: Die Lassie Singers mit neuer Platte. Alltagstaugliche Message: „Sei dein eigenes Hotel!“  ■ Von Anke Westphal

Almut Schummel kommt vom Zahnarzt. Es ist drei Uhr nachmittags, und ihre linke Wange fühlt sich an wie ein dickes taubes Ei. Almut geniert sich zu reden, weil alles, was sie sagt, in ihren Ohren wie wrrdlpfmpf klingt. Sie hievt sich mit dem Rücken zur Wand in einen klapprigen Stuhl und sendet argwöhnische Blicke aus blankgeputzten Murmelaugen.

Christiane Hügelsheim hängt derweil noch schnell die Wäsche auf, denn am nächsten Tag gehen die Lassie Singers mit ihrem neuen Album „Hotel Hotel“ auf Tour. „Meine besten Sachen!“ vermeldet Christiane, meint die nassen T-Shirts und greift nach einer ihrer beiden Katzen. Hurtig biegt die Katze am Kachelofen nach links ab, passiert das Bob-Dylan-Poster und verpfeift sich um die Ecke. „Völlig milieugestört, die Biester, stell dir vor, die haben doch glatt die Spachtelmasse gefressen!“ Dieser Drogenmißbrauch beschäftigt Christiane ungemein, sie wiederholt die Story mehrmals. „Keine Sekunde kannsch die aus de Auge lassen.“ Hat sie als Katzenpädagogin versagt? War es vielleicht vernachlässigte Aufsichtspflicht? Und wo soll das alles enden? Das sind so Fragen, die einen Lassie Singer in den besten Jahren bewegen.

„Hotel Hotel“ ist, verglichen mit den kindlichen Anfängen der Lassie Singers, eine sehr erwachsene Platte – gewachsen an den kleinen Alltagsfreuden und großen Zweifeln. Schon auf „Sei à gogo“ und „Stadt, Land, Verbrechen“ hatte die Band um Schummel und Hügelsheim das lustige „Spaßprojekt“ wenigstens teilweise zugunsten eines weniger trash-glamourösen „Akzeptanzphänomens“ aufgegeben – obwohl es die vier eigentlich ganz gemütlich in der Lustig-ärmlich-wenn- auch-eher-nicht-charmant-Ecke hatten.

Nun akzeptieren die Lassie Singers mit „Hotel Hotel“ nichts weniger als die Prosa der realen Verhältnisse. Manchmal macht einen das Leben halt trotzig und manchmal depressiv, stillgläubig oder wütend, wenn auch selten hoffnungslos. „Hotel Hotel“ gestattet solche Gefühle, ohne sie unbedingt durch verspieltes Lustigsein transzendieren zu wollen. Es fällt „Regen, Regen“, die Lassie Singers „haben nichts dagegen“. Dann wieder überwältigen Entfremdungsgefühle und Zustände von fast mondsüchtiger Zwischenbefindlichkeit Musikerinnen und Zuhörer wie in „Hallo laute Welt“: „Manchmal ist es in mir so still / daß ich nicht schlafen kann / dann warte ich auf irgendwas / was mich anschucken kann“.

Da geht es um ein neues, komplexeres Person-Werden dieser Stars, denen der Erfolg weder zu besseren als den abgeschabten Möbeln noch zu Sorglosigkeit verholfen hat, um die Neubestimmung des eigenen Ortes in der Welt, der einem im ganzen Berühmt-berühmt-Rummel so schnell wegflutscht wie ein zappelnder Fisch. „Doch inzwischen bin ich soweit, mir selbst Hotel zu sein“, dichten Schummel und Hügelsheim im letzten Song des Albums, „Hotel Daheim“: „Manchmal bin ich Hotel Garni / gar nie bin ich Ritz.“ Das ist schön und traurig, also „sei dein eigenes Hotel“.

Daß man die letztendliche Beschränktheit der eigenen Möglichkeiten nicht nur erkennt, sondern auch zuläßt, „hat schon etwas mit dem Älterwerden zu tun, ohne jetzt immer darauf rumzureiten“, findet Christiane. „Jetzt arrangiere ich mich mehr mit dem, was das Leben zu bieten hat.“ Fast alles auf „Hotel Hotel“ setzt immer schon ein Ende voraus. Der überraschend introspektive, sogar einsame Tenor hat natürlich auch damit zu tun, daß die Songs früher mehr zu zweit geschrieben wurden, und „zu zweit kann man gar nicht so einsame Stücke machen“, sagt Almut.

Dazu kommt, daß die Lebensumstände von Musikerinnen etwas anders, um nicht zu sagen komplizierter sein können als die von dynamischen, flexiblen Musikern. Christiane ist jetzt 35 Jahre alt, ihre Tochter mit 14 „aus dem Gröbsten raus“, was den Alltag nicht weniger anstrengend macht. Almut ist 33 und hat vor einem Jahr einen Sohn geboren. „Britta [Neander, Schlagzeugerin] ihrs ist acht“, nur die Bassistin Dodo Herting hat kein Kind.

Almut hat zwei Jahre in der Kleinanzeigenabteilung der taz gearbeitet, „morgens eine halbe Stelle“. Heute ist sie um acht aufgestanden, hat mit dem Baby gefrühstückt. Dann mußte sie zur T-Shirt-Firma, weil die neuen Werbe-T-Shirts für die Tour „nicht so richtig geworden“ sind. „Ganz gut, aber zu knapp“, korrigiert Christiane, „die passen kaum meiner Tochter.“ Viel war an den T-Shirts nicht zu retten, Almuts Waschmaschine ging kaputt, also ab in den Waschsalon mit der Familienwäsche, „denn morgen fahr'n mer ja weg“. Weil Almuts Zahnarzt wartete, hat sie die Sachen einfach im Salon liegengelassen, „die klaut wohl niemand, oder?“

Bei Christiane hat um halb elf eine Transportfirma geklingelt, 800 CDs für die Tour mußten in den vierten Stock gepuckelt werden, dann war aufzuräumen. Gegen Mittag gönnt sich Christiane eine Zeitungspause in der „Markthalle“, dann wird Wäsche gewaschen – „morgen fahr'n mer ja weg“ – und Essen für die Tochter, die aus der Schule kommt, zurechtgemacht. Neue Gitarrensaiten müssen noch besorgt werden, der Tourbus ist anzumieten. Die 800 CDs sind in denselben einzuladen, die mißlungenen T-Shirts müssen abgeholt werden. Am nächsten Morgen geht es dann los.

Den Eindruck fiebriger Fröhlichkeit machen die Vorbereitungen nun gerade nicht. Für die Lassie Singers brachte das Starsein wohl eher eine Erweiterung der täglichen Knochenarbeit mit sich – hallo, laute Welt! „Wir müssen weiter gehn, immer weiter / manchmal hab ich schon vergessen, wonach ich suchen wollte / ich bin so müde / muß noch zur Gießerei / hab mich verklingelt / gleich kommt noch einer vorbei.“

Der Raum für Spielerisches ist enger geworden, da müssen nicht einmal große Enttäuschungen dahinterstehen, auch wenn ein halb ironisch, halb ernst gemeinter Song wie „Liebe wird oft überbewertet“ so etwas vermuten ließe. Nach Jahren geht es Christiane schon mal „auf die Nerven, immer zusammen schöne Melodien zu singen“. Erschöpft von der Ausreizung des eigenen Bandmodells, schwimmt man auf der Suche nach neuen Leuchttürmen an anderen Ufern langsamer. Und muß sich zunehmend selbst ermutigen. Christiane Hügelsheim beginnt im Herbst ein Studium an der Filmhochschule Babelsberg, Drehbuch. Ihr Wunschtraum ist es, später mit Schreiben Geld zu verdienen. Ernsthaft, wie Christiane an der Umsetzung arbeitet, kann sie „eine so schlechte Studentin [Literaturwissenschaft] und Mutter“ nicht gewesen sein, wie sie behauptet.

Doch wie das so ist in Zeiten, da man kein Land sieht – man ist meist viel besser, als man es selbst von sich glaubt. Die Musik macht den Lassies immer noch Spaß, doch löst das die Zweifel nicht in Luft auf. „Als Künstler darf ich natürlich nie sagen, ich trete auf der Stelle – ich muß immer behaupten, daß gerade was ganz Dolles bei mir passiert“, sagt Almut und macht kein Geheimnis daraus, wie sehr sie der Medienzirkus ankotzt. Die Moden wechseln schnell, gerade sind Funny Van Dannen und Helge Schneider extrem modern, beides alte Kumpels und im Falle Van Dannen Mitstreiter der Lassie Singers. Manchmal überfällt Christiane das Gefühl, auf der Bühne, auf den Platten, in Interviews viel zuviel von sich hergezeigt zu haben – für lau, während „andere ihren Beruf und ein Einkommen finden, und man selber steht dann in beidem verloren da mit dem, was man macht. Ich hab' jetzt jahrelang was gemacht, was mir letztendlich nichts bringt. Und was nützt mir das Boheme-Leben, wenn keiner mitmacht?“

Wie lange mögen einen die Leute, wovon soll man einmal leben? Klar, da trudeln Fanbriefe ein, sogar von Schweizer Männerchören, und der Vertrag mit Sony läuft noch über eine Platte. Die Lassie Singers machen ihre Musik „ja nicht für zwanzig Bekannte, das sollen schon ein paar mehr Leute hören“, aber daß in der Deutschpopgruppe neuerdings soviel Mist gehypt wird, verstärkt den tragischen Konflikt. Wo möchte man dazugehören?

Eigentlich sollten die Lassie Singers Ende August zur Wiedereröffnung des Hamburger Thalia- Theaters spielen, doch sie bilden an dem Tag das Kulturprogramm für die Hochzeit eines Freundes. Der zukünftige Geschiedene ist ein Exfreund von Almut, „schon lange jenseits des Lustprinzips“. Wie heißt es doch in der melancholischen Single-Betrachtung „Es kommt schon wieder einer“: „Glück und Liebe sind Phantome / da kommt man ganz schlecht ran.“

Die Welt der Lassie Singers ist nicht mehr so voll von Männern, die man kennenlernen, oder Bars, in denen man wirklich eine tolle Zeit haben kann. Das spricht tatsächlich für eine „Band in der Metamorphose“, wie es der Promozettel so vollmundig verkündet.

Puh, das Erwachsensein. Auf „Hotel, Hotel“ gibt es ein schönes Lied über das Geldverdienen. Es heißt „Wo bleibt der Mensch“ und fragt, „wo darf er ausruhn?“ Eigentlich wollte ich die beiden zum Abschied fragen, ob sie heimlich Kommunisten sind, doch das habe ich dann vergessen. Die Verhältnisse, sie waren an jenem Nachmittag nicht so unhandlich großformatig. Alles Gute, Almut, Christiane, Britta und Dodo!

Die Lassie Singers: „Hotel Hotel“ (Dragnet/Sony)