Evolution der Teekanne

■ Das Überseemuseum hat im eigenen Archiv geforscht und allerhand Kurioses dabei entdeckt / Langweilige Objekte mit spannender Geschichte

Was verbindet den Schrumpfkopf aus der Südsee mit dem ausgestopften Pekinesen? Beide standen seit Jahrzehnten nebeneinander auf einem Regal unter den vielen tausenden nie ausgestellten Objekten im abgedunkelten Archiv des Überseemuseums. Ab Sonntag stehen sie in der neuen Sonderausstellung „Geister, Mumien und Exoten – vom Raritätenkabinett zum Übersee-Museum“ zum ersten Mal im Licht der Öffentlichkeit. Zwischen die beiden alten Bekannten haben die Ausstellungsmacher einen Miniatur-Schuh plaziert – so klein, daß nur einer der eingeschnürten Füße einer chinesischen Hofdame hineingepaßt haben kann. Auf den Objekten liegt noch der Staub, der sich in den Jahrzehnten im Archiv auf ihnen abgelagert hat.

Nicht ferne Länder, exotische Biotope oder seltenes Handwerk werden diesmal vom Übersee-Museum präsentiert, sondern das Ergebnis einer Forschungsreise durch das eigene Haus. Gefunden wurde dabei zum Beispiel eine Sammlung von 100 chinesischen Teekannen. Die hatte Hugo Schauinsland, Direktor des Überseemuseums von der Gründung im Jahr 1886 bis 1933 von einer seiner Ostasienreisen mitgebracht. Die Kannen sind weder besonders schön noch besonders selten. Schauinsland hat sie auch gar nicht deshalb gesammelt. „Der war eigentlich Zoologe“, sagt der Museums-Völkerkundler Andreas Lüderwaldt, „und so wie von seiner Wissenschaft damals versucht wurde, systematisch alle Tierarten zu erfassen, so hat er sich hier um die Evolution der Teekanne bemüht.“

Gleich neben dem Regal mit den Teekannen präsentiert die Sonderausstellung eine ähnliche Sammlung aus jüngerer Zeit. Sturzhelme, Schlagstöcke, Transparente und ein Drachen sind dort zu sehen. Sie alle waren Ende der 70er Jahre bei DemonstrantInnen im Einsatz, als in Tokyo die äußerst harten Auseinandersetzungen um den Bau des neuen Großflughafens in Narita geführt wurden. Zwei Regale weiter ringeln sich Dutzende von Schlangen in hohen Gläsern im Spiritus.

Naturkunde, Handelskunde, Völkerkunde – von Anfang an war die Verbindung dieser drei Themen das Besondere am Bremer Überseemuseum. Die Überschneidungen der scheinbar so getrennten Bereiche sind in der Sonderausstellung zu entdecken. Da tauchen auf Schuhen, Tierpräparaten oder Getreideproben die gleichen altmodischen Inventarnummern auf. Ein früherer Museumsarchivar hat seine Spuren hinterlassen, als er thailändische Ringe in seine leere Juno-Packung steckte. Und ein anderer hat einen Karton mit kopulierendem Porzellan-Kitsch in schüchternen Buchstaben als „japanische Porno-Figuren“ gekennzeichnet. „Japanisch“ wurde von anderer Handschrift später völkerkundlich korrekt durch „chinesisch“ ersetzt.

Die Ausstellung verfolgt ausdrücklich kein didaktisches Konzept. „Vieles ist langweilig“, sagt Ausstellungsmacher Lüderwaldt, „und man fragt sich, was das eigentlich im Museum soll.“ Langweilig ist die dabei entstandene Zusammenstellung aber bestimmt nicht. Jeder Betrachter darf sich als Entdecker fühlen – wie beim Stöbern auf dem vollgestellten Dachboden der Großeltern. Das einzige, was dabei stört, ist das Plexiglas, das zur Vermeidung von Bruch und Schwund vor die groben Regale genagelt wurde.

Der Schrumpkopf aus der Südsee stammt übrigens nicht vom Menschen. Das jedenfalls meint Museumsdirektorin Viola König. Dafür habe er zu wenig Haare. Die Frage ist unter den Museums-Wissenschaftlern allerdings noch nicht ausdiskutiert, BesucherInnen der Ausstellung dürfen sich noch an dem Meinungsstreit beteiligen. Und sich darauf freuen, daß sie ab 1998 im neuen Museumsarchiv 30.000 der bislang eingestaubten Objekte zu sehen bekommen. Ase

Die Sonderausstellung „Geister, Mumien und Exoten“ wird am Sonntag um 16 Uhr offiziell eröffnet und ist bis zum 25. August zu sehen.