Press-Schlag
: „Guten Tag, ich heiße Andre“

■ Agassi und Pierce belebten auf verschiedene Weise die French Open

Die erste Woche des Grand Slam Turniers im Pariser Bois de Boulogne war wenig spektakulär. Titelverteidiger Thomas Muster marschiert wieder wie aufgezogen Runde um Runde voran, Glatze Agassi hatte einen miserablen Abgang, und Steffi Graf dürfen nicht alle Lebensfragen gestellt werden. Pete Sampras, die Nummer eins der Branche, gibt – wie gegen den spanischen Sandplatzheros Sergi Bruguera (Sampras: „die schwerste zweite Runde, die ich je gespielt habe“) – alles, um endlich auch einmal der „Sandkönig“ an der Seine zu werden.

Doch was wollte Andre Agassi bloß in Paris? Die French Open gewinnen? Wohl nicht! Vor seinem zweiten und letzten Match gab er sich noch unbeschwert: „Guten Tag, mein Name ist Andre“, wollte Agassi offenbar einen eindrucksvollen Scherz anbringen, den sein Bezwinger Chris Woodruff aus Knoxville/Tennessee gar nicht witzig fand. „Ich habe ihm gesagt, daß ich ihn bereits kenne“, erzählte der 23jährige US-Amerikaner aus dem Niemandsland der Weltrangliste (72.), der mit geduldigem Haudruff seinen völlig indisponierten Gegner ausspielte. Agassi stieg nach 63 (!) leichten Fehlern in sein unter Court A geparktes Auto und verschwand wort- und stillos. Die 2.000 Dollar Strafe dafür, daß er vor den professionellen Fragern nicht erschien, wird er aus der Portokasse bezahlen. Ob er die Pfiffe und den Imageverlust von Paris ebenfalls ignorieren kann, scheint fraglich. „Wenn Agassi sich nur für die Olympischen Spiele und die US-Open schonen will, macht er einen großen Fehler“, gibt Jose Higueras, Coach von Pete Sampras, zu bedenken, denn „dabei riskiert er in diesem Jahr alles zu verlieren.“

„Frag doch Steffi Graf, ob sie der Meinung ist, alle ihre Steuern nunmehr gezahlt zu haben“, gab mir ein Freund mit auf den Weg nach Paris. Wie stellt sich der schlaue Adi das vor? Es herrscht so etwas wie Selbstzensur bei den Pressekonferenzen mit Steffi. Die Journalistenzunft aus aller Welt hat dies längst kapiert. Die Schere im Kopf arbeitet unaufhörlich, die Hitliste der nicht gestellten Fragen wird immer länger. Nur keinen Eklat provozieren mit den wirklich spannenden Fragen nach Vater Graf und Knast. Steffi gar wieder in Tränen aufgelöst – eine unerträgliche Vorstellung. Nein, Adi, gerade hat die Presseaufpasserin der Spielervereinigung WTA wieder ganz böse geschaut, das schaffe ich heute nicht; vielleicht packt mich später noch die Courage.

Die erste Pariser Woche in Roland Garros wurde allein durch Mary Pierce aus dem Schlaf gerissen. Die Attraktion ist nicht ihr mittelprächtiges Tennis, sondern das tiefdekolletierte Tenniskleid der Französin, das bereits zum Verkaufsschlager des US-amerikanischen Sportartikel-Marktführers geworden ist. Die Haute Couture hält Einzug auf rotem Ziegelmehl. Mary Pierce ist das passende Modell dafür. „Das Kleid ist wirklich sexy“, grinst Monica Seles anerkennend und referiert danach fünf Minuten darüber, warum es ihr nicht stehen würde. Karl-Wilhelm Götte