Träume von Olympia

Nina Englich, deutsche Meisterin im Ringen, kämpft bei der Europameisterschaft in Oslo um den Titel  ■ Von Stefan Alberti

Witten (taz) – Trainingsmief durchzieht die Halle, halbnackte Männer klammern sich aneinander, rutschen über verschwitzte Matten. Unter ihnen eine Gestalt mit weicheren Formen – eine Frau beim Ringertraining? Nicht irgendeine Frau: Nina Englich (20) ist Deutschlands erfolgreichste Ringerin und eine der besten der Welt.

Fünfmal pro Woche quält sich die Dortmunderin zwei, drei Stunden als einzige Frau beim Bundesligisten KSV Witten, wo es Welt- und Europameister zuhauf gibt. Kein Problem beim Clinch mit den Männern? „Beim Training bin ich keine Frau, sondern Trainingspartnerin“, sagt Englich, „und so sollen sich mich anfassen.“ Etwas perplex seien Neulinge schon, wenn die Frau in der Umkleidekabine neben ihnen ins Trikot steige, sagt Ex-Europameister Ralf Lüding. Für Trainingspartner Ogean Stach waren Frauen auf der Matte nichts Neues, als er vor eineinhalb Jahren aus Bulgarien nach Deutschland kam: „Bei uns gibt es das schon bestimmt seit sechs Jahren.“

Am Vortag war trainingsfrei – Geschenk vom Trainer für den dritten deutschen Meistertitel am Wochenende zuvor. Knapp drei Minuten brauchte Nina für fünf Kämpfe – „ein besseres Training für die EM im Juni“. Obwohl sie nicht etatmäßig in der Klasse bis 70 Kilo rang, sondern des größeren Teilnehmerfelds wegen bis 75 Kilo. Die nationale Leistungsdichte ist gering, nur rund 600 Frauen und Mädchen ringen im deutschen Ringerbund (DFB), bei den Männern sind es 35.000 Aktive. Wettkämpfe gibt es erst seit 1991.

Auf der Matte geht Nina wieder in den Clinch, taucht blitzschnell zu den Beinen ab und schultert ihren Gegner. Auf dem Rücken: Freund Sven Stankowiak (20), selbst deutscher Vizemeister bei den Junioren. Eine ringende Freundin ist für ihn kein Problem: „Ich kannte sie ja schon vorher als Ringerin.“

Das Training geht weiter. Hebel, Haltegriffe und Würfe, immer und immer wieder. „Eine ihrer großen Stärken ist ihr Trainingsfleiß“, sagt Nationaltrainer Jörg Helmdach. Er räumt ihr gute Chancen für die morgen in Oslo beginnende Europameisterschaft ein, „wenn sie sich allein auf sich selbst konzentriert“. 1995 holte Nina schon Bronze bei der WM in Moskau, die erste Medaille für die deutschen Ringerinnen überhaupt.

Selbstdisziplin beherrscht das Leben der Jurastudentin, die Rechtsanwältin werden will. Im zweiten Semester stehen 26 Wochenstunden auf dem Plan, die erste Hausarbeit – Bürgerliches Recht – wird die Zeit zwischen EM und WM im August füllen. Und wenn die Kommilitonen von der Uni Bochum nach einem langen Tag die Beine hochlegen, ist Nina auf ihrer 250er Chopper schon auf dem Weg zum Training.

Das war selten anders. Nina war noch fast ein Baby, als Vater Detlef, dreimaliger Polizei-Europameister und langjähriger KSV- Vorsitzender, sie zum ersten Mal mit nach Witten nahm. „Ich habe wirklich auf der Matte das Laufen gelernt.“ Als kleines Mädchen legte Nina die Jungs aufs Kreuz – doch nur im Training, Wettkämpfe waren tabu. Als sich das änderte, Nina nach einem Intermezzo beim Turnen auf die Matte zurückkehrte, war Mutter Helena nicht erfreut: „Sie war doch mittlerweile ein junges Mädchen, und ich hatte schon meine Bedenken.“ Die haben sich längst gelegt, und auch die anfangs skeptischen Kommilitoninnen haben inzwischen mal zugeschaut. Ninas Fernziel: Olympia 2000 in Sydney. „Wenn jetzt schon Frisbee olympisch wird, sind wir auch an der Reihe. DRB-Generalsekretär Manfred Müller ist weniger optimistisch: „Das wird wohl noch dauern.“