Ein Entlassungsanreiz ohne Wirkung

Nach dem Willen der Bundesregierung soll es in Betrieben mit bis zu zehn Beschäftigten künftig keinen Kündigungsschutz mehr geben, doch die Beschäftigungseffekte sind umstritten  ■ Von Karin Flothmann

„Sie sind gefeuert.“ Der Satz ist kurz, prägnant und folgenreich. Ein Chef kann ihn jederzeit ohne weitere Begründung aussprechen – zumindest, wenn sein Personal aus fünf und weniger Beschäftigten besteht. Arbeitsrechtlichen Schutz genießen im Kleinstbetrieb nur wenige. Die Schwangere darf nicht während der Zeit ihres Mutterschutzes vor die Tür gesetzt werden. Zudem ist der sittenwidrige Rausschmiß, etwa wegen der sexuellen Neigung des Arbeitnehmers, verboten. Doch welcher Kleinstarbeitgeber ist schon so dumm und nennt Gründe?

Eigentlich, so dachte sich die Bonner Regierung, sollten mehr Arbeitgeber in den Genuß dieses großzügigen Kündigungsrechts gelangen. Hatten nicht Chefs wie der Arbeitgeberpräsident Klaus Murmann immer wieder moniert, daß kleine Betriebe vor Neueinstellungen zurückschreckten, nur weil anschließend „alle Mitarbeiter unter den strengen Kündigungsschutz fallen“? Mit dem „arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz“, einem Teil des regierungsamtlichen Sparpakets, soll das nun anders werden. In Betrieben mit bis zu zehn Beschäftigten, so sieht es der Gesetzentwurf von CDU/ CSU und FDP vor, gilt das Kündigungsschutzgesetz künftig nicht. Gleichzeitig soll auch die Teilzeitarbeit neu bewertet werden. Arbeitet eine Putzfrau also zehn oder weniger Stunden pro Woche, so gilt sie beim Kündigungsschutz künftig nur noch als Viertelarbeitnehmerin, kellnert ein Ober halbtags, so ist er auch nur ein halber Mitarbeiter. „Bei Mövenpick etwa“, so weiß Gerd Pohl von der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG), „arbeiten schon heute die meisten nur zehn Stunden wöchentlich. Vier von ihnen wären künftig eine Vollzeitstelle.“ Ein Betrieb könnte fürderhin also bis zu 40 Beschäftigte einstellen, ohne daß diese vor Kündigungen geschützt wären.

Mindestens 500.000 neue Arbeitsplätze bringt das, meint Arbeitgeberpräsident Murmann. Hartmut Seifert vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in Düsseldorf glaubt das nicht. Schon heute habe ein Unternehmer die Möglichkeit, Arbeitskräfte 18 Monate lang befristet einzustellen. Künftig sollen befristete Verträge bis zu zwei Jahren möglich sein. Doch schon die heutigen Möglichkeiten der befristeten Einstellung, so Seifert, würden von den Arbeitgebern kaum genutzt, hätten also „auch nicht die erhofften Beschäftigungseffekte gebracht“. Die Aufweichung des Kündigungsschutzes sei daher „nur ein Entlassungsanreiz, der dem Arbeitsmarkt wohl kaum auf die Sprünge hilft“.

Diesem Anreiz ist nach Schätzungen des DGB jeder vierte Arbeitnehmer ausgeliefert, insgesamt sind das rund 4,8 Millionen Frauen und 3,7 Millionen Männer. Sie arbeiten in kleinen Handwerksbetrieben, in Gaststätten, Friseursalons oder Arztpraxen. Allein im Handwerk sind 79,6 Prozent der rund sieben Millionen ArbeitnehmerInnen in Betrieben mit weniger als zehn Mitarbeitern beschäftigt, erklärt der Zentralverband des deutschen Handwerks; im Hotel- und Gaststättengewerbe sind laut NGG 63.5 Prozent der rund 670.000 Beschäftigten in solchen Betrieben angestellt; im Einzelhandel, so schätzt die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, sind es rund 50 Prozent der mehr als 3,2 Millionen Angestellten.

Ob Kleinstbetriebe tatsächlich dem Prinzip des Heuerns und Feuerns frönen, darüber sind die Meinungen geteilt. Wo Arbeitgeber noch die Rolle des allmächtigen Patriarchen spielten, so meinen Gewerkschafter, da werde das Feuern schon heute groß geschrieben. Eine Sprecherin der Berliner Handwerkskammer geht dagegen davon aus, daß im kleinen Betrieb weitaus seltener gekündigt wird als im großen. Immerhin sei ein Kleinbetrieb häufig so etwas wie eine Familie. „Da gehört der Mitarbeiter irgendwann zum Inventar.“

Mit konkreten Zahlen können weder Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften noch das Bundesarbeitsministerium aufwarten. Zuverlässige Daten liefern nur die laufenden Betriebsuntersuchungen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. Im Schnitt betraf der Personalwechsel bei den untersuchten Betrieben, also die Summe der Zu- und Abgänge im Verhältnis zum Personalbestand, rund elf Prozent aller Beschäftigten pro Jahr. In Kleinstbetrieben mit weniger als fünf Mitarbeitern lag dieser „Personalumschlag“ in den Jahren 1993 und 1994 bei 14 und mehr Prozent – und damit im Vergleich mit anderen Betriebsgrößen am höchsten. 1995 nahm diese Tendenz jedoch ab. Personalwechsel fanden zunehmend in Betrieben mit bis zu hundert Mitarbeitern statt.

Während in Bonn noch laut über die Aufweichung des Kündigungsschutzes nachgedacht wird, ist strittig, ob die bisherige Regelung überhaupt Rechtens ist. Schon 1993 legte das Arbeitsgericht Bremen eine Verfassungsbeschwerde ein. Das Kündigungsschutzgesetz schreibt derzeit fest, daß Betriebe mit fünf Beschäftigten den Kündigungsschutz nicht einhalten müssen. Dies, so die Bremer Arbeitsrichter, verstoße gegen den Grundsatz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Zudem schränke diese Regelung das Grundrecht auf die freie Wahl des Arbeitsplatzes zusätzlich ein. Noch in diesem Jahr will das Bundesverfassungsgericht entscheiden.