Traumbegriff Osten

■ betr.: „Das Land, das an Gott grenzt“, taz vom 18./19. 5. 96

Vielleicht liegt es an den von Ihnen vorgenommenen Kürzungen, aber so wie Sie Heinz Budes „Land, das an Gott grenzt“ wiedergeben, wirkt es wie eine Collage von in letzter Zeit gelesenen Analysen, die dem zwanghaften Versuch dient, einen kulturellen Traumbegriff Osten zu schaffen, der einerseits Deutschland, Mittel- oder Ostdeutschland, andererseits Rußland zum Inhalt haben kann.

Mal muß die Flakhelfergeneration für die Identitätsverschmelzung herhalten, dann wieder das deutsche Bildungsbürgertum. Geflissentlich übersehen wird von Bude, daß es mehrheitlich die neuen Linken, die Epigonen der Frankfurter Schule waren, die sich für das pseudosozialistische „Ostelbien“, allerdings mehr politisch als landschaftlich, begeistern ließen.

Ich meine, das geistige Band, das hier geflochten wird, um beliebige Argumente, die auf die eine östliche Identität zutreffen, auf die anderen anzuwenden, hält nicht. Nicht nur geographisch müssen wir zwischen dem Asowschen Meer und dem Scharmützelsee, der Moskwa und der Oder unterscheiden und können das auch.

Wenn Beuys' Urerlebnis tatsächlich erfunden war, tut das der Mystik seiner Erklärungen keinen Abbruch, zeigt aber deutlich, wie spekulativ eine Deduktion auf solcher Grundlage ist. [...] Jürgen Kirschning, Erkrath