Verhungern lassen oder gleich schließen?

■ Der Senat sorgt bei der Tarifangleichung Ost zu West zunächst für die Großen. Die Literaturhäuser im Osten können froh sein, wenn sie die Brosamen erhalten

Als der Berliner Senat vor zwei Jahren beschloß, die Gehälter im Ostteil bis 1996 auf Westniveau anzugleichen, wurde dies als beispielhaft und mutig gefeiert. Immerhin mußte man sich für das Mehr an Gerechtigkeit aus der Tarifgemeinschaft der Länder werfen lassen. Jetzt zeigt sich, daß der Senat den Mund reichlich voll genommen hat.

Derzeit müssen die Kultureinrichtungen im Osten 94 Prozent der West-Gehälter zahlen, ab Oktober 1996 soll dann die 100prozentige Angleichung erreicht sein. Das ist schön, und der Senat hält für den Tarifausgleich 1996 auch 25 Millionen Mark bereit. Diese allerdings sind zunächst für die großen Häuser – Theater, Opern, Museen – gedacht, nicht für kleine „Zuwendungsempfänger“. Sollte von dem Geld nicht zufällig etwas übrigbleiben, müssen etwa die Literaturhäuser im Osten die Differenz „selbst erwirtschaften“, wie Kultursenatssprecher Lutz Nebelin mittlerweile zugibt, nachdem Kultursenator Peter Radunksi (CDU) im April noch versprochen hatte, es werde gewiß einen Ausgleich geben.

Und da der Senat bereits seit Anfang des Jahres ohnehin nur noch für 84 Prozent der Gehälter aufkommt, bedeutet das: einen Fehlbetrag in Höhe von 16 Prozent der Gehälter, der die Literaturwerkstatt Pankow, das Literaturforum im Brecht-Haus und das Kinderliteraturhaus in eine mehr als prekäre Situation bringt. Denn in der Literaturwerkstatt etwa würde die Summe 1996 mit gut 70.000 Mark zu Buche schlagen. Und da der einzig verfügbare Etat derjenige für das Programm ist und dieser spätestens im August ausgeschöpft sein wird (da ja bereits seit Monaten ein Teil der Gehälter daraus bezahlt werden muß), wird man das für September geplante Festival „Paris literarisch“ absagen müssen, so Thomas Wohlfahrt, der Leiter der Literaturwerkstatt. Weitere Programmausfälle werden folgen.

Der Einspareffekt ist gleichwohl begrenzt, da Ausfallhonorare in Höhe von 75 Prozent fällig werden. Und: Finden Programme nicht mehr statt, werden sich die Drittmittelgeber wie das Auswärtige Amt, das Institut Français oder der British Council – die immerhin 80 Prozent des gesamten Programmetats bestreiten – zurückziehen. Denn sie unterstützen ja einzelne Projekte, für den bloßen Erhalt einer Institution können sie nicht aufkommen.

Aus alldem würde folgen, daß die Literaturwerkstatt, die bis weit ins nächste Jahr hinein vertragliche Verpflichtungen eingegangen ist, mit unverändert hohen Kosten für Personal und für ein nicht stattfindendes Programm dasteht, die es nun aber ohne seine Geldgeber bestreiten müßte! Darüber hinaus macht sie sich (und damit Berlin) natürlich bei Gästen und Förderern in aller Welt unmöglich.

Im Kultursenat will man „das Problem erkannt“ haben (Nebelin), hofft aber, für die Literaturhäuser doch noch ein paar Mark aufzutreiben. „Alle Fraktionen wollen die Literaturhäuser.“ Vielleicht könne man aus bisher gesperrten Geldern etwas „umschaufeln“, „notfalls über Lotto noch was machen“, murmelt der Kultursenatssprecher. Doch es hilft alles nichts: Er muß zugeben, daß „eine vorübergehende Durstrecke“ durchaus im Rahmen des Möglichen liegt, sprich: das Geld nie gezahlt wird. Daß derartiges Haurucksparen maximalen Schaden bei minimalem Sparergebnis anrichtet, kann er nicht leugnen.

Doch diese „Durststrecke“, so stellt sich heraus, ist noch die günstigere Variante. Daß der Senat für ein zinsloses Darlehen in Höhe von 25.000 Mark, das die Stiftung Preußische Seehandlung der Literaturwerkstatt gern gewährt hätte, nicht bürgen wollte, läßt das Schlimmste vermuten. Und tatsächlich: Die Alternative zur „Durststrecke“ sei die Schließung der Häuser, gibt Nebelin nach einigem Zögern zu. Frei nach dem Motto: Was kümmert mich meine Bestandsgarantie von gestern? Jörg Häntzschel