Schwer ordentliche Leute

■ Blaumeiers feiern 10. Geburtstag: Das Projekt für Kunst und Psychiatrie kennt keine Behinderten und Betreuer – nur Verrückte und Verrückt-Normale W

alter Koch ist neidisch. „Wie authentisch die sind!“ Kommt ein trauriges Lied, fließen bei ihnen gleich die Tränen. „So nah an den Gefühlen möchte ich auch mal sein.“ Malu Thören sagt: „Ich habe von der Andersartigkeit gelernt.“ „AndersArt“ – alle freuen sich, als der Begriff fällt. Denn es geht um Kunst. Und um Verrückte. Pressekonferenz zum 10jährigen Geburtstag von Blaumeier, dem Bremer Projekt für Kunst und Psychiatrie. Anwesend: die Presse und vier Blaumeiers. Nichtbehinderte.

Halt! Das ist von früher. Vor zehn Jahren sagte man noch: Behinderte und Nichtbehinderte. Heute: Verrückte und Normal-Verrückte. Verrückt sein ist lustig, lehrreich und schön, sagen die Normal-Verrückten, die allerdings nie sagen: „Wir sind alle ganz schön behindert.“ Den Verrückten sind die Normal-Verrückten manchmal zu crazy. Behindert jedenfalls ist man nicht mehr. Eventuell „betroffen“. Wie ärgerte sich neulich eine Betroffene so vielsinnig: „Wir sind keine Behinderten – wir sind schwer ordentliche Leute!“ Diese Art von Wortklauberei führt direkt zu den Anfängen von Blaumeier.

Als Blaumeier 1986 als Kind der Bremer Psychiatriereform anfing, gab es noch die Reste der schrecklichen Bremer Langzeitpsychiatrie im Kloster Blankenburg. Die normale Haltung den Irren gegenüber war: Wegsperren. Ruhigstellen. Körbe flechten lassen. Vergessen. Bestenfalls: Therapieren. So war es eine sehr aufregende Entdeckung für eine kleine Gruppe von Künstlern, als sie feststellte, daß die Verrückten nicht nur Lust auf Kunst haben, sondern auch viel Sinn dafür. Daß sie nicht nur Art brût produzieren, sondern auch auf allseits befriedigende Weise mit normalen Künstlern zusammenarbeiten können. Mit den Behinderten gleichrangig und nicht-therapeutisch Theater, Musik, Kunst machen schien möglich. Mehr noch: In diesen Bereichen hatten oft genug die Normalen die Defizite. Was hieß da schon: Behinderung?

Zehn Jahre Blaumeier: anfangs fünf Stellen vom Kultursenator, 30 Behinderte. Heute zwölf Stellen, aus allen möglichen Geldtöpfen finanziert, für 200 feste Nutzer des Ateliers in Walle. Was die Macher/Mitarbeiter/Normal-Verrückten betrifft, handelt es sich meist um „Aussteiger“, gewesene Lehrer, verhinderte Beamte, an den gesellschaftlichen Strukturen unglücklich Gewordene. Künstler, Lebenskünstler, die ganz bewußt keinen Schimmer von psychiatrischen Krankheitsbildern haben und sich mit Blaumeier eine Gegenwelt geschaffen haben, in der umso mehr über Alterssicherung nachgedacht wird, je weniger Blaumeier aus Bremen wegzudenken ist. Unter diesen Satz bekäme man in Bremen tausende von Unterschriften: Blaumeier ist aus Bremen nicht wegzudenken. Denn Blaumeier ist eine gute Nachricht aus Bremen.

Es gab in den zehn Jahren Bilderaustellungen, Studienreisen nach Italien, Blaumeierauftritte mit selbstgebauten, abenteuerlich großen Masken an Rosenmontagen. Doch den Mythos Blaumeier begründeten regelmäßige Theaterspektakel in Bremen. Spektakel deswegen, weil oft hundert oder mehr Akteure beteiligt waren. Blaumeier-Späteinsteiger entdeckten dieses erstaunliche Theater erst vor zwei Jahren mit „Fast Faust“, einem „großen Goethöse“. Echte Fans aber tuscheln von „Zorro, der gerechte Rächer“ (1986), „Die Beerdigung der Sardine“ (1987), „Sissi in Nöten“ (1989) und (Legende!) „Jakobs Krönung“, teilweise auf der Weser gespielt. Die taz damals: „... ein transparentes Schillerndes, was einen mit hochhebt und bei Berührung kitzelt, daß man lacht; dann platzt es schnell und man muß nach Hause. Wie machen die das?“

Wie machen die das? Daß die Leute wie verrückt die raren Aufführungen besuchen. Daß sie lachen und weinen und benommen rauskommen und das Gefühl haben, beschenkt zu sein. Die Sprache der Blaumeiers trifft beim Publikum offenbar auf sonst wenig gebrauchte Kinderohren. Und sie trifft ohne Umschweife ins Herz. Auch sonst scharfzüngige Rezensenten jubeln ohne Ausnahme.

Obwohl Blaumeier in Bremen unkritisierbar ist, hört man von Zeit zu Zeit einen Vorwurf: daß sie theoriefeindlich seien. Tatsächlich denken die Blaumeiers selten über die Hintergründe ihrer Arbeit nach. Ein Konzept, sagen sie, gebe es nur für den Geldgeber Senat, und auch das sei eher deskriptiv. Manchmal aber fragen sie sich, was das ist mit dem Lachen über die Verrückten. Lachen die Leute über die zähe Zunge des Darstellers, oder weil er hinfällt, oder doch eher über den gezielten Gag? Lachen sie über oder mit den Verrückten? Lachen sie aus Unsicherheit – oder erlaubt erst die Unsicherheit das Lachen? Schließlich weiß man ja oft gar nicht, ob man es mit Verrückten oder Normal-Verrückten zu tun hat. Burkhard Straßmann

10 Jahre Blaumeier: Heute abend Großes Geburtstagsfest mit Heart'n Soul, Echo City und Highlights aus Blaumeier-Produktionen, 20 Uhr, Schlachthof

Sonntag, 19 Uhr, Talk-Show zum Thema Kunst und Psychiatrie, auch im Schlachthof

Außerdem ganztägig: Fotoausstellung im Schlachthof-Café; Blaumeier-Malerei in der Galerie im Turm