Wand und Boden
: Russischer Wein

■ Kunst in Berlin jetzt: Jan Svengusson, Knut Bayer, Katharina Hohmann

In der Kapelle des Bethanien muß man sich an einem Berg aus aufgetürmten Gefrierschränken vorbeimogeln, auf dessen Spitze ein Schreibtischsessel thront. Die Installation „White Trash“ von Inghild Karlsen spielt auf zeitgenössische Müllandschaften im öffentlichen Raum an. Ungefähr erkennt man auch die zitierte Natur eines C. D. Friedrich wieder. Doch irgendwie wirkt das Ungetüm aus rottendem Plastik nur wie ein vages Gebilde.

Dafür wird es im Studio II konkret: Das Bild „96“ in der Mitte links vom Eingang kommt einem Teppich voller Nasenblutenspuren sehr nahe. Die Tropfen sind fein über die Leinwand gespritzt, das Rot sieht vertrocknet aus, ab und zu mischt sich ein wenig Schwarz dazu. Daneben dann eine sehr starke Blutung in Bordeaux, an deren Rändern sich schon ein gelber Vorhof gebildet hat; „89“ dagegen ist ein wie aus Innereien zusammengemanschtes All-Over à la Nitsch, und auf der nächsten Bildfläche sind heftig rotverschmierte Hände heruntergerutscht. Jan Svengussons Humor bewegt sich zwischen Hitchcock und Pulp Fiction: Malerei als übertriebenes Abbild einer Realität, die selbst nur mehr aus Special effects besteht. Der Übergang vom manierierten Splatter zum illusionistischen Stilleben ist fließend. Aus der Nähe betrachtet sind die Gemälde ohnehin völlig gegenstandslos, ein Feld aus roten Tupfern. Erst die Phantasie macht ein Massaker daraus.

Die „Tests 88–108“ sind 20 durchnumerierte Variationen zu einem klassischen Thema: Wie stellt man Blut dar? Der 35jährige schwedische Gast im Künstlerhaus Bethanien hat mit dieser Serie von inzwischen 120 Bildern vor vier Jahren angefangen, als seine Frau einen schweren Unfall hatte. Doch die Biographie gehört nicht zum Inhalt, sie ist nur Zufall – und die Systematik hat auch kein Konzept. Svengusson möchte seine Arbeit ohne große Vorkenntnisse verstanden wissen. Es reicht ihm, wenn sie Assoziationen auslöst, „über die man sich dann unterhalten kann“. Das ist höflich untertrieben, tatsächlich untersucht Svengusson das Verhältnis von Kopie zum Original. Das aber steht im Katalog und also auf einem anderen Blatt.

Beide bis 9. 6., Sa./So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2

Wer will, kann auch die Ausstellung von Knut Bayer in der Galerie Barbara Weiss als Versuchsanordnung begreifen. Der konzeptuell orientierte Maler hat die Fensterfront entlang, über zwei Räume verteilt, Regale mit kleinen eingetopften Bäumen angebracht. 33 Stück von „Blume 2000“, weil sie dort am billigsten sind. In jedem Raum hängen zudem zwei breite Bahnen aus Kunstleder, die Bayer umgedreht und auf der gazebezogenen Rückseite bemalt hat. Die Motive stammen aus der Landschaftsarchitektur: Blumenampeln, Gewächshäuser und Richtgestelle für russischen Wein.

An dieser Stelle schließt sich bereits der Kreislauf, in dem die Darstellung von Natur mit der Natur der Darstellung je nach Fasson enggeführt, gedoppelt und gebrochen wird. Das ist sehr romantisch und der Philosophie des englischen Rasens ähnlich. Andererseits beziehen sich die Gewächshausmodelle auf Vorbilder aus der Kunstgeschichte, sind die Farbkombinationen aus blauen, orangen und braunen Streifen etwa Arbeiten von Sol Lewitt nachempfunden; und auch ihre Anordnung erscheint nicht wirklich funktional, sondern geometrisch abstrakt.

Damit konterkariert Bayer allerdings den Leitgedanken der Minimal art: Was als Verständigung über den verlorenen Weltbezug der Moderne gedacht war, entpuppt sich als Substitut der bestehenden Entfremdung. Mittlerweile wirken die Kästchen von Donald Judd oder Carl Andre im Museum selbst wie Idyllen einer zweiten Natur, in die das bißchen Geistige in der Kunst problemlos eingegangen ist. Am Ende siegt bei Bayers gestutzten Bäumchen und gemalten Streifen die Melancholie über das technische Vermögen.

Bis 13. 7., Di.–Fr. 12–18, Sa. 11–14 Uhr, Potsdamer Str. 93

Man kann dieses unversöhnliche Verhältnis auch auf Mensch und Tier übertragen, wie es Katharina Hohmann im Botanischen Büro mit der Installation „Animal House“ tut. Im Innenhof der Waldemarstraße 40 hat die Bildhauerin das Skelett aus den Eisenpfeilern einer abgerissenen Autowerkstatt mit grüner Wäscheleine umzäunt. Aus hundert Schnüren ergibt sich so ein Freiluftgehege, das im Wind federt und einige frisch gepflanzte Sträucher nur spärlich schützt. Tiere sieht man nicht, das Ganze ist mehr einem schlichten Stück Land art nachempfunden. Statt dessen hat die 1964 geborene Hohmann am hinteren Ende ein kleines Häuschen gebaut, in dem man Tierparkfotos, Souvenirs aus dem Zoo Friedrichsfelde und Broschüren mit Gehege-Entwürfen kaufen kann. Dort finden sich auf einem Faltblatt heimische Käfige neben kunstvollen Vogelvolieren, Blockhütten für Damwild und Hamsterbauten aus Bast.

Immer jedoch lassen diese Behausungen einen Blick ins Leben hinter den Gitterstäben zu, als wäre im Tierpark die Utopie einer transparenten und deshalb befreiten Gemeinde eingelöst, in der jedes Treiben halb öffentlich geschieht. Der Affe als Gesamtkunstwerk, und kein beuysscher Feldhase weit und breit. Das ästhetisch zugerichtete Tier bleibt Ersatz: „Zoo ist Museum, und wir möchten darin nur sehen, was uns vertraut ist und was Spaß macht, und das sind eben unsere eigenen Häuser“, wie Fritz von Klinggräff im Katalog schreibt. Und Katharina Hohmann antwortet: „Die Fassaden der Tierhäuser spiegeln unsere Visionen, verbildlichen unsere Sehnsucht nach Ferne und sind von innen lediglich Funktion und Gefängnis.“ Ihr Käfig ist leer, auch das ist menschlich.

Bis 30. 6., Mi.–So. 14–18 Uhr Harald Fricke