Ein Berufsverbot für Ärzte

Bayerns Sonderweg beim Abtreibungsrecht sieht strikte Auflagen für Ärzte vor. Wer eine Abtreibungsambulanz führt, wird gezwungen, seine Praxis zu schließen  ■ Von Felix Berth

München (taz) – Friedrich Stapf hatte die Akten zum Paragraphen 218 schon in den Keller geräumt. Trotz politischer Widerstände, trotz der Kreditverweigerung von rund 16 Banken war es dem Münchener Arzt in den letzten Jahren gelungen, in Bayerns Landeshauptstadt eine Abtreibungsambulanz aufzubauen. Nachdem im vergangenen Jahr endlich das neue Abtreibungsrecht verabschiedet worden war, schien es, als sei Stapfs Arbeit endlich auch juristisch untermauert. Doch inzwischen sieht das wieder anders aus. Denn neben der häufig kritisierten Verschärfung der Schwangerenberatung plant Bayerns Regierung auch rigide Auflagen für Ärzte, die bereit sind, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.

Friedrich Stapf hat die Papierstapel zum Paragraphen 218 inzwischen wieder hervorgeholt. „Was der bayerische Gesetzentwurf jetzt vorsieht“, so erklärt er, „wirkt auf mich wie eine ,Lex Stapf‘.“ So heißt es in Artikel 5 des geplanten „Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes“ etwa, daß Abtreibungen in Bayern „nur von Frauenärzten“ vorgenommen werden dürfen. Stapf führt zwar schon seit Jahrzehnten Abtreibungen durch, doch Gynäkologe ist er nicht. „Mit solch einer Formalie soll meine Arbeit unmöglich gemacht werden“, vermutet der Arzt, der schon in den 70er Jahren Frauen zum Abbruch nach Holland begleitete.

Außerdem darf keine Arztpraxis mehr als 25 Prozent ihrer Einnahmen mit Schwangerschaftsabbrüchen verdienen. Auf diese Weise, das gibt auch das zuständige Sozialministerium zu, sollen reine Abtreibungsambulanzen, die es im Freistaat nur in Nürnberg und München gibt, verhindert werden. Anton Haußmann, Sprecher des bayerischen Sozialministeriums, beruft sich dabei auf das Urteil der Karlsruher Richter. Darin findet sich die vage Formulierung, durch spezialisierte Abtreibungspraxen würden „Gefahren“ entstehen. Welche das sind, haben die Verfassungsrichter zwar nicht präzisiert, doch für Haußmann ist klar: „Die Gefahr ist, daß jemand, der seinen Lebensunterhalt ausschließlich mit Abtreibungen verdient, das Recht des Ungeborenen nicht mehr in dem Maße durchsetzt, in dem es notwendig ist.“

Wird die 25-Prozent-Regelung tatsächlich rechtskräftig, können Stapf und sein Nürnberger Kollege Andreas Freudemann ihre Praxen schließen. In ganz Bayern stehen den Frauen dann nur rund zwanzig Gynäkologen zur Verfügung, die unter anderem auch ambulante Abbrüche vornehmen. Viele Ärzte werden sich zudem davon abschrecken lassen, daß sie künftig einer strengen staatlichen Überwachung unterliegen: Alle Ärzte, die Abtreibungen durchführen, sollen verpflichtet werden, den Behörden ihre Einnahmen und Honorarbelege detailliert vorzulegen. Kontrollierende Beamte dürfen eine Art Hausdurchsuchung vornehmen und dabei „Gegenstände untersuchen, Proben entnehmen und Unterlagen einsehen“. Lapidar endet dieser Paragraph mit den Worten: „Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung wird insoweit eingeschränkt.“ Ob Bayern mit diesen Regelungen dem Auftrag des Abtreibungsrechts nachkommen kann, bleibt fraglich. Immerhin schreibt das vor, daß jedes Bundesland „ein ausreichendes Angebot ambulanter Einrichtungen für Schwangerschaftsabbrüche“ sicherstellen muß.

Das Bonner Justizministerium, das sich bei der Verschärfung der Beratung mit den Bayern anlegen will (taz vom 4.6.96), zögert bei den Paragraphen für Ärzte noch. Daß künftig nur ein Viertel der Einnahmen eines Arztes aus Abtreibungen stammen darf, hält Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) für verfassungskonform. Entsprechende Einschränkungen sind im Bundesgesetz nicht vorgesehen. „Deshalb“, so Schmidt- Jortzig, „kann Bayern hier eigene Regelungen treffen.“ Geprüft werde noch, ob das Land tatsächlich vorschreiben könne, daß nur noch Frauenärzte einen Schwangerschaftsabbruch durchführen dürfen.

Werden die bayerischen Sondergesetze wirksam, so will Stapf dagegen vor das Verfassungsgericht ziehen. Die Juraprofessorin Monika Frommel gibt ihm dabei gute Chancen: „Das neue Recht ist ein massiver Eingriff, fast eine Art Berufsverbot. Und es kollidiert mit dem Eigentumsrecht der Ärzte. Sie haben ihre Praxen aufgebaut und können nicht einfach etwas anderes machen.“ Zudem, so Frommel, sei die Argumentation der Bayern widersprüchlich: „Einerseits wollen sie, daß nur Gynäkologen Abbrüche vornehmen – angeblich um die Gesundheit der Frauen zu schützen.“ Andererseits aber provoziere die 25-Prozent- Regelung medizinische Probleme, „weil es unter den Ärzten dann keine Spezialisten, sondern nur noch Gelegenheitsabtreiber gibt“.