Wenn der Computer Eier legt Von Ralf Sotscheck

Virtuelle Haustiere haben unschätzbare Vorteile: Ein elektronischer Goldfisch braucht kein Futter, ein Computer-Fiffi muß nicht Gassi gehen, und eine Katze auf dem Bildschirm zerfetzt keine Tapete. Außerdem werden die Viecher nicht krank und können – außer durch ein Computervirus – auch nicht hopsgehen. Das soll sich in Zukunft ändern, wenn es nach einer englischen Softwarefirma geht: Millennium bringt im September virtuelle Eier mit digitalen Erbanlagen auf den Markt. Zu Hause schiebt der Käufer das auf Diskette gespeicherte Ei in den Computer und brütet es aus.

Nach einer Weile schlüpft der „Norn“, wie die pelzigen Tierchen heißen, aus dem Ei und muß mit der – ebenfalls auf Diskette gespeicherten – virtuellen Nahrung gefüttert werden. Man kann ihm einfache Wörter beibringen, er reagiert auf Streicheln und auf Prügel. Nach sechs bis zehn Stunden Computerlaufzeit ist der Norn geschlechtsreif und beginnt sich zu paaren, falls ein Norn des anderen Geschlechts in der Nähe ist. Alles völlig clean, versteht sich. „Sie küssen sich lediglich ein wenig länger“, meint Stephen Grand, der Chefprogrammierer von Millennium, „wir müssen schließlich auf die Amis Rücksicht nehmen.“ Schwule Norns kommen deshalb nicht in Frage.

Nach der Paarung produziert die Nornin ein Ei. „Was dabei herauskommt, wissen wir auch nicht“, meint Stephen Grand. „Das kommt ganz auf die digitale DNS an.“ Wie bei einer ordentlichen Tierzucht könne man die Norns anderen Züchtern zur Paarung überlassen oder in Pflege geben, wenn man verreist – alles per Internet. „Das Problem ist, daß Fremde dem Norn als erstes das Fluchen beibringen“, gibt Grand jedoch zu bedenken.

Auch wenn die Norns mit ihren riesigen Augen und einem dämlichen Grinsen eher wie Garfields garstige Brüder aussehen, besteht Grand darauf, daß seine Norns mehr als nur Cartoonfiguren sind. Ihre biochemischen Eigenschaften seien zwar vereinfacht, aber durchaus vollständig. Man könne sogar das Gehirn untersuchen und beobachten, wie sich „Nervenstränge“ bilden. Das sei vor allem für diejenigen Computerexperten von Interesse, die an der Entwicklung „denkender Maschinen“ arbeiten, meint Grand.

Denken können die Norns noch nicht. Aber sie können betrunken werden, wenn man ihnen virtuellen Schnaps verabreicht – zum Beispiel im benachbarten virtuellen Irish Pub, in das man mit ihnen spazieren kann, ohne daß man Angst haben muß, daß sie unterwegs die Datenautobahn zuscheißen. Norns können aber krank werden. Wenn sie einen Schnupfen haben, müssen sie niesen und bekommen Schüttelfrost. Dann jammern und stöhnen sie laut. Hat es sie ganz schlimm erwischt, könnten sie sogar sterben, wenn Millennium nicht wäre. „Falls sie richtig krank werden“, sagt Grand, „kann man sie natürlich per Internet an uns einsenden, und wir kümmern uns dann um sie – gegen eine kleine Gebühr.“ Da lohnt es sich vielleicht, auf den Beruf des virtuellen Veterinärs umzuschulen. Statt sich um denkende Maschinen zu kümmern, hätten Grand und seine Millennium-Kollegen wohl lieber bei sich selbst anfangen sollen. Aber vielleicht können sie ja einen Job als virtuelle Krankenwagenfahrer für kranke Norns bekommen.