Appell der Holocaust-Leugner

■ Immer häufiger finden sich in der FAZ Anzeigen rechtsextremer Autoren

Berlin (taz) – Ein Biedermann als Brandstifter: German Scheerer (31), Diplomchemiker, wurde wegen Aufstachelung zum Rassenhaß und der Leugnung des Holocausts vor einem Jahr vom Stuttgarter Landgericht zu einer 14monatigen Haftstrafe verurteilt. Noch während sein erster Prozeß lief, veröffentlichte er unter dem Pseudonym „Ernst Gauss“ das Machwerk „Grundlagen zur Zeitgeschichte. Ein Handbuch über strittige Fragen des 20. Jahrhunderts“, in dem rund ein Dutzend Autoren aus der BRD, Frankreich, Italien, Kanada und den USA in der ihnen eigenen pseudowissenschaftlichen Weise den Holocaust an den Juden leugnen. Scheerer, dem rechtsextremen Wiederholungstäter, sollte diese Tage abermals der Prozeß gemacht werden. Diesmal vor dem Schöffengericht des Tübinger Amtsgerichtes. Doch der Holocaust-Leugner, zeitweilig Mitarbeiter der Jungen Freiheit sowie Mitglied der Jungen Union, danach beim „Republikanischen Hochschulverband“, hat sich ins Ausland abgesetzt und wird derzeit mit Haftbefehl gesucht.

Quasi prozeßbegleitend wurde am 17. Mai in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Anzeige veröffentlicht, ein sogenannter „Appell der 100 – Die Meinungsfreiheit ist in Gefahr!“ Ein Frontalangriff auf die bundesdeutsche Justiz. Diese wird beschuldigt, mit „Sondergesetzen“ gegen Verleger, Redakteure und Autoren wegen Äußerungen zu „bestimmten Fragen der Zeitgeschichte“ vorzugehen – gemeint ist ganz offensichtlich der Massenmord an den Juden. Die Unterzeichner des Appells stammen zu einem guten Teil aus der Autorenriege des Grabert- Verlages, wo auch Scheerer veröffentlicht. Als Kontaktadresse der Unterzeichnenden ist der emeritierte Professor Dr. Helmut Schröcke angegeben. Im rechtsextremen Lager hinreichend bekannt als Autor der holocaustleugnenden Vierteljahresschrift „Deutschland in Geschichte und Gegenwart“ und der NS-apologetischen Zweimonatszeitschrift „Recht und Wahrheit“.

Eigentlicher Ideengeber des „Appells der 100“ soll – szeneinternen Informationen nach – Rolf Kosiek sein, Bundesvorsitzender der „Gesellschaft für freie Publizistik“, einst baden-württembergischer NPD-Landtagsabgeordneter und Lektor bei Grabert. Er tritt in der Anzeige offiziell nicht in Erscheinung.

Daß die Anzeige in der FAZ erschien, hat – so der Verfassungsschutz – durchaus Methode. Gegenüber den ARD-Tagesthemen sagte Dr. Baumann, Chef des NRW-Verfassungsschutzes: „Ich gehe davon aus, daß die Verfasser das nicht ohne Grund gemacht haben. Sie vermuten wahrscheinlich in der Leserschaft dieser Zeitung potentielle Interessenten und wenden sich an diese. Sie wollen natürlich ihre Bandbreite vergrößern.“

Die Bandbreite vergrößern wollen auch die rechtsextremen „Deutschen Konservativen“ des wegen Volksverhetzung verurteilten Joachim Sieherist und die neurechte Wochenpostille „Junge Freiheit“. Sie veröffentlichen regelmäßig Anzeigen in der FAZ. Vielleicht bietet der Tübinger Holocaust-Prozeß ja Anlaß für die FAZ, ihre Anzeigenpraxis zu überdenken! Anton Maegerle

Die Journalisten Anton Maegerle und Stefan Rocker berichteten am 6. Juni in den ARD-Tagesthemen zu diesem Fall.