"Im Landbau rotieren"

■ Professor Richard Lacey, Mikrobiologe an der Universtität Leeds, über die Ausbreitung des Rinderwahns und was dagegen geschehen müßte: Die Bauern müssen umlernen

taz: Die EU-Kommission hat vor ein paar Tagen das Exportverbot für Gelatine, Talg und Bullensperma aufgehoben. Zu Recht?

Richard Lacey: Die teilweise Aufhebung des Embargos beruhte auf falschen Angaben, die die britische Regierung gegenüber der EU gemacht hat. So behauptete sie, daß der BSE-Erreger bei der Herstellung von Gelatine abgetötet wird. Das ist nicht wahr. Der Erreger ist sehr widerstandsfähig, und es gibt keinen Hinweis, daß ihm durch Erhitzung beizukommen ist. Die Behauptung, daß Bullensperma ungefährlich ist, basiert auf ein paar Experimenten, bei denen Mäusen eine geringe Menge Sperma injiziert wurde. Die bekamen die Krankheit nicht, aber das Experiment hatte unter künstlichen Bedingungen stattgefunden. Wenn viele Kühe damit besamt werden, ist das potentiell hochgefährlich. Ich finde es unglaublich, daß die EU das Exportverbot aufgehoben hat und bin überzeugt, daß sie es wieder in Kraft setzen wird, wenn ihr die Folgen bewußt werden.

Die beim Menschen auftretende Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJK) breitet sich offenbar aus, die Opfer sterben jünger. Wie ist Ihre Prognose?

Es gibt inzwischen 21 Fälle einer neuen Art von CJK. Das Beunruhigende daran ist, daß sich die Zahl der Fälle jedes Jahr nahezu verdoppelt: 1993 gab es einen Fall, 1994 waren es vier, 1995 dann sechs und in diesem Jahr schon zehn oder elf. Die Infizierung hat in den frühen 80er Jahren stattgefunden. Bei Kindern brach der erste BSE- Fall 1986 aus. Ein Jahr später starben 400 Rinder daran. Wenn sich die Menschen also seit Anfang der 80er infiziert haben, bedeutet das, daß die Zahl der Opfer in Zukunft drastisch steigen wird. Das ist eine wirklich erschreckende Aussicht.

Gibt es irgend etwas, das man tun kann?

Das Problem ist, daß die infizierten Rinder von Hof zu Hof verkauft worden sind. Keine einzige Herde kam unter Quarantäne, auch die Zucht ging weiter. Zudem ist bekannt, daß viele Bauern gegen die Regeln verstoßen: Ein Hof sammelt zum Beispiel alle verdächtigen Fälle aus der Umgebung und kassiert den Schadenersatz. Die anderen Höfe erhalten BSE- freien Status und dürfen exportieren. Es ist furchtbar: Wir wissen nicht, welche Tiere oder Herden infiziert sind, wir wissen nicht, welche Weiden infiziert sind. Wir können eigentlich gar nichts tun.

Wie gelangt der Erreger auf die Weide?

Hauptsächlich durch den Darm der Rinder. Ein Teil der Erreger wird mit den Exkrementen ausgeschieden, weil nicht alles vom Darm absorbiert wird.

Was soll mit den Weiden geschehen?

Es ist sehr schwierig, der Sache Herr zu werden. Das beste wäre es, jede infizierte Herde zu töten. Die Weiden müssen dann für andere Zwecke genutzt werden, zum Beispiel für den Anbau von Getreide, für Bäume, vielleicht auch für Geflügel. Mit Sicherheit nicht für neue Rinder. Es wäre entsetzlich, wenn Großbritannien Milliardensummen ausgibt, um den Rinderwahn zu besiegen, und nach fünf, sechs Jahren ist er wieder da.

Kann Geflügel nicht durch verseuchtes Futter infiziert werden? Bis März wurden in Großbritannien doch Schweine und Geflügel mit demselben Fleischmehl gefüttert, das bei Rindern höchstwahrscheinlich BSE ausgelöst hat.

Das Gute an den Tieren ist, daß wir sie essen, wenn sie sehr jung sind. Es ist bekannt, daß die Infektiosität mit zunehmendem Alter der Tiere steigt. Deshalb sind Rinder so gefährlich für Menschen.

Zurück zu den Weiden: Ist es denn durchführbar, alle Weiden in Ackerland umzuwidmen?

Das hat es doch früher auch gegeben, daß im Landbau rotiert werden mußte. Wir müssen uns nur wieder auf die alte Art besinnen, um Nahrung zu produzieren. Die Bauern müssen neue Fertigkeiten erlernen, genauso wie es die Bergarbeiter und Stahlkocher mußten. Milchbauern müssen lernen, Getreide anzubauen und Hühner zu züchten. Weil die Regierung zu spät gehandelt hat, wird unsere Fleisch- und Milchwirtschaft langsam zugrunde gehen. Wir werden Rindfleisch und Milch aus den EU-Ländern importieren müssen, und vielleicht können wir die umgewidmeten Weiden nutzen, um andere Produkte zu exportieren. Interview: Ralf Sotscheck