Ideen vom Klassenlehrer

■ Die Bürgerschaft prämiert zum siebten Mal Engagement gegen Fremdenhaß/

Früher durften Kinder noch Kinder sein: Sie brachten vergnügsame Sing-Szenen von kleinen, fetten Pfannekuchen zur Aufführung, demoralisierten in aller Ruhe ihre Lehrer oder verwandten ihre Energie auf die Frage, wie und wo ein Partner für ein spannendes Onkel-Doktor-Spiel zu werben sei. Im übrigen herrschte Ruhe.

Heutzutage ist das anders: Schon Drittklässler rezitieren komplexe Pamphlete gegen Ausländerfeindlichkeit, und Pennäler, die keinen geraden Satz zuwege bringen, dilettieren in politisch korrekten Theater-Szenen. Pubertierende Barden schließlich erzeugen bratkartoffelähnliche Töne auf der Western-Gitarre und jaulen zu ihrem Gegurke Worte wie „Da kommt diese Wut, packt mich voll und ganz“ - und das, obwohl die Kölner Rockband BAP und andere zu diesem Thema doch schon alles gesagt haben, was man und gerade BAP dazu nicht sagen kann. Auch für Kinder ist heutzutage der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert. Und mit der Ruhe ist es aus

und vorbei.

Schuld daran hat der Schüler-Wettbewerb: „Dem Haß keine Chance“. Vor sieben Jahren schrieb die Bürgerschaft den Preis erstmals aus. Gestern vormittag im Rathaus kürte ihr Präsident Reinhard Metz die diesjährigen Preisträger. Unter den Augen ihrer stolzen Lehrer mußten sich rund hundertfünfzig Kinder von ihm erst als „sehr geehrte Damen und Herren“ begrüßen lassen, bevor sie feststellen mußten, daß ihre Sketche, Lieder und Theater-Szenen im Publikum ohnehin unverständlich blieben - weil Metz allein hinter dem Rednerpult auf ein Mikrophon zurückgreifen konnte. In verständlicher Lautstärke hatte der Christdemokrat schon gleich zu Anfang klargemacht, worum sich der ganze Zinnober in der Oberen Rathaushalle drehte: „Dieser Saal“, teilte er den Kindern mit, „ist genau das Richtige für solch einen schönen Anlaß.“ Zwar sind die DVU-Liste D, Rassismus und brennende Ausländer, wegen derer der Preis ursprünglich ins Leben gerufen worden war, nicht gerade schöne Anlässe. Dennoch traf Metz, der sämtlichen Anwesenden denn auch ein optimistisches „Bis zum nächsten Mal“ auf den Weg gab, den Nagel auf den Kopf: Nachdem der Gegenstand des Wettbewerbs inzwischen längst ins Esoterische diffundiert ist, läßt sich nun nur noch eines als Zweck der Veranstaltung orten: sich dicke tun, daß die Schwarte kracht. Und das ist allemal ein schöner Anlaß, wenn man dabei neben einer einwandfreien Gesinnung auch 5.000 Mark samt Sachpreisen unter die versammelten Schüler bringt, die denn auch entsprechend zufrieden von dannen zogen. Die versammelten Pädagogen lächelten wohlwollend.

„Das war unser Klassenlehrer“, antworteten zwei Mädchen aus der siebten Klasse des Schulverbunds Lesum auf die Frage, wem denn die Idee gekommen war für die Zeitung, mit der ihre Klasse schließlich einen ersten Platz in der Sparte „Mediensonderpreis“ hereinkegelte. Wer mag sich da noch wundern über die beiden Schüler, die sich schließlich in druckreifem Deutsch zur Ausstattung der Schulen in Bremerhaven äußerten: „Die Lehrer in Bremerhaven sind schon oft vergessen worden“, mokieren sie in ihrem Sketch. Und einer der beiden faßte die Konsequenz in die klare Formel: „Keine Lehrer ergibt Haß und Gewalt.“ Offenbar verwandelt sich, unter dem Segel des Engagements gegen Ausländerhaß, mittlerweile jede politische Forderung in eine Überlebensfrage des demokratischen Gemeinwesens. Die Lösung kann daher nur lauten: Schafft Vollzeit-Stellen für Lehrer in Bremerhaven. Und sehet: Rassismus und Anschläge auf Ausländer samt DVU-Liste D werden binnen kurzem ein Ende nehmen, und vielleicht auch der Schüler-Wettbewerb „Dem Haß keine Chance“. Dann spielen die Bremer Kinder wieder Plumpsack, Verstecken oder Ringelpietz, Ruhe kehrt wieder ein, und alles wird gut.

Bernd Neubacher