: Nordkoreaner sollen ins Gras beißen
Im Kampf gegen den Hunger greift die Staatsführung zu ungewöhnlichen Rezepten. Die USA, Japan und Südkorea wollen mit Hilfspaketen den Zusammenbruch des Regimes verhindern ■ Aus Seoul Georg Blume
Radio Pjöngjang funkte an die Köche im Land: „Heute erfahren Sie, wie sich wildwachsendes Gras gesund und schmackhaft zubereiten läßt“, sagte eine Frauenstimme auf dem nordkoreanischen Staatssender KCB. Sie unterbreitete Rezepte mit wilden Gräsern, darunter einen Vorschlag, wie sich aus Petersilie „Kimchi“ herstellen lasse. Die Beilage wird normalerweise mit fermentierten Kohlblättern zubereitet und gilt in Korea – wie früher Sauerkraut in Deutschland – als Vitaminspender für Arme.
Das Kochprogramm beschäftigt seit einigen Tagen Sicherheitsexperten in Seoul, Tokio und Washington. Ihre Frage lautet: Kann das Regime in Pjöngjang die angekündigte Hungersnot des Landes überleben, oder steht es kurz vor dem Zusammenbruch? Vergangene Woche schlugen UN-Experten erneut Alarm und verlangten von der internationalen Gemeinschaft Lebensmittelhilfen in Höhe von 26 Millionen US-Dollar für Nordkorea. Das Land hatte im vergangenen Herbst Überschwemmungen und eine Mißernte erlebt.
Ebenso alarmierend ist der Dissidentenstrom aus dem Norden: Am 23. Mai suchte der nordkoreanische MiG-Pilot Li Chol Su mit einem wagemutigen Flug über die innerkoreanische Waffenstillstandszone das Weite. Kurz zuvor hatte der Wissenschaftler Chung Kab Ryol (44) in der japanischen Botschaft in Peking um Asyl gebeten. Ihm folgte TV-Regisseur Chang Hae Song (52), der den Tumen-Fluß nach China überquerte, und am 4. Juni ein nordkoreanischer Armeeleutnant, der mit einem Ruderboot in den südkoreanischen Hafen Inchon übersetzte.
Deutsche Diplomaten in Seoul fühlen sich an die Botschaftsflüchtlinge aus der DDR erinnert, die 1989 den Zusammenbruch der DDR einleiteten. Ähnlich scheint auch die Regierung in Washington zu denken: Sie will ein Hilfspaket im Wert von über 6 Millionen Dollar für Pjöngjang schnüren. Im gleichen Zug würden Südkorea und Japan eigene Hilfsprogramme auflegen. Alle Regierungen eint das gleiche Interesse: Sie ziehen die viel beschworene „weiche Landung“ dem Kollaps des Regimes vor. Vor allem die über eine Million Mann starke Armee des Nordens gilt als unberechenbar.
Alles westliche Wissen über Nordkorea basiert jedoch auf einer Menge von Details, auf die sich verschiedene Reime machen lassen. Was etwa, wenn den fünf prominenten Überläufern aus dem Norden ihre Flucht nahegelegt wurde? Vielleicht ist auch das ganze Gerede über eine Hungersnot das Werk geschickter Propagandisten, die ihr Regime aus der diplomatischen Isolation befreien wollen – so zumindest sehen es die Hartliner in der südkoreanischen Regierung. Wäre es also denkbar, daß diejenigen, die heute von der Notwendigkeit humanitärer Hilfe sprechen, in Wirklichkeit nur ein Verbrecherregime stützen? Der republikanische US-Präsidentschaftskandidat Dole möchte mit dieser These Wahlkampf machen.
Da paßt es gut ins Bild, wenn der Vizechef der nordkoreanischen Außenhandelskommission Japan und Südkorea mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, falls diese Länder nicht zu Hilfeleistungen bereit seien. Bill Clinton hofft, daß die Nordkoreaner einlenken und sich für sein Hilfspaket mit der Teilnahme an Friedensgesprächen bedanken. Jedoch ist nicht klar, worüber dort gesprochen werden soll: „Das Ernährungsproblem ist für die Nordkoreaner so überwältigend, daß sie sich auf nichts anderes konzentrieren können“, stellte der Clinton-Gesandte Bill Richardson Ende Mai in Pjöngjang fest. Mag auch sein, daß die nordkoreanischen Delegierten in Zukunft auf Wildgräsern statt Reis bestehen und ihre Teilnahme bei einer anderen Diät absagen.
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