Demokratie ist kein Kinderspiel

■ Viertelparlament soll Vorbild für andere Stadtteile werden

Das „3. Viertelparlament Kinder und Jugendliche“ beriet gestern über Freizeitsportanlage: „Ich bitte alle Anwesenden sich hinzusetzen“, kämpft die Stimme von Sitzungsleiter Kutlu Kaplan gegen den Geräuschpegel im Bürgerhaus Weserterrassen. „Wir wollen uns heute mit der geplanten Freizeitsportanlage befassen.“ Binnen Sekunden tritt eine Ruhe ein, die immer entsteht, wenn wichtige Versammlungen tagen.

Die rund siebzig Menschen im Saal fordern einen „Wurfgarten“, ein Gelände für Ballsport jeder Art - nicht in einem Hinterhof soll der kollektive Freizeitpark entstehen, sondern mittendrin in der Stadt. Ein „vorläufiges Modell“ von etwa vier Metern haben sie mitgebracht, darauf ein Fußball-, ein Basketball- und ein Volleyballplatz, ein Aufenthaltsraum, Röhren für Skateboardfahrer, eine Spraywand, darunter der Slogan „Schlacke ist Kacke“, denn Kunstrasen wird nicht matschig. Der Leiter des Sportamtes erhebt sich von seinem Stuhl und bietet der Runde bereitwillig ein Gelände in der Pauliner Marsch an.

Für gewöhnlich haben Erwachsene das Sagen, wenn Kinder etwas bestimmen wollen. Heute abend im Viertelparlament ist das anders. Nicht nur der Chef des Sportamtes, auch die Leiter des Ortsamtes Mitte und des Ordnungsamtes sowie Verwaltungsleute aus dem Jugend- und dem Bauamt sind zur Beratung erschienen, um den rund 50 Kids zwischen 14 und 18 Jahren zuzuhören. Die sechzehnjährige Katrin findet es einfach „schön, wenn Jugendliche einmal mit Politikern reden können“. Änne Klockgießer wiederum, Kulturreferentin im Ortsamt Mitte, freut sich, daß die Erwachsenen die Kinder ernstgenommen haben und gekommen sind.“ Ernst wird es in der Tat: Da muß sich Jugendamtsleiter Robert Bücking von einem Rollerblade-Freak über die durchschnittliche Halbwertzeit von Halfpipes ohne Dach belehren lassen. Und da kontert ein anderer den Satz des Verwaltungsmannes, die jungen Leute sollten in ihrer Planung auch „Provisorien aushalten“, mit den Worten: „Es wird doch sowieso alles provisorisch bleiben, weil irgendwann kein Geld mehr da ist“.

An der Seitenwand steht Ulli Barde und notiert drei Argumente auf einer Rauhfaser-Tapete. Dem Pädagogen von der Kinder- und Jugendinitiative Schildstraße klingen noch heute die hauptamtlichen Bedenkenträger im Ohr. „Kinder machen doch keine Politik“, hieß es, oder: „ein Parlament ist doch eine Überforderung für die Kinder.“

Das ist lange her. Alles begann im September 1993, als die Kinder des Lagerhauses vom ersten Bundeskindertreffen im Berliner Reichstag heimkehrten. „Die kamen wieder und sagten, ,so etwas brauchen wir hier auch'“, erinnert sich Bade. Ein Jahr später beschloß die Bürgerschaft, das Viertelparlament einzurichten: Die Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes regelt mehr oder weniger verbindlich die Beteiligung und Berücksichtigung Minderjähriger und deren Interessen. Die Umsetzung der Richtlinien dauert. Dabei hatte die Stadtbürgerschaft mit den Stimmen von CDU und SPD schon letzten Dezember den Senat aufgefordert, „in Zusammenarbeit mit den Beiräten im Jahre 1996 Richtlinien über Maßnahmen zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf Beirats- und Ortsamtsebene vorzulegen“.

Professionell passiert das derzeit nur im Stadtteil Mitte. Änne Klockgießer vom Ortsamt organisiert die Tagungen des Viertelparlaments und lädt die einschlägigen Ansprechpartner ein, wenn etwa, wie neulich, die Kinder einige Basketballkörbe am Weser-Stadion installieren wollen - und sich plötzlich sieben verschiedenen Behörden gegenübersehen.

„Es muß verbindlich sein“, meint der Pädagoge Uli Barde. Deshalb müssen sich die Verwaltungsleute nach Ende der Sitzung gegenüber dem Viertel-Parlament schriftlich verpflichten, daß die Sportanlage gebaut werden wird. „Wir koordinieren hier zwischen Bürgern und Politikern“, sagt Änne Klockgießer nicht ohne Stolz. „Und das ist klassische Ortsamts-Arbeit.“

Bernd Neubacher