Kein Geld für Stotterer

■ Behörde streicht ambulante Förderung für sprachbehinderte Kinder in den Schulen Sprachheilschule verliert die Klassen sieben bis zehn

21 Kinder betreut Elisabeth Biewald an der Grundschule in Arsten. Einmal die Woche kommt die Sprachheilpädagogin ins Schulhaus, die Kids dürfen in Grüppchen aus der Klasse raus. Die Kleineren aus den Vorklassen lernen Psychomotorik, singen Lieder, machen Fingerspiele. Die Älteren (bis Klasse vier) trainieren ihre Artikulation, malen und schreiben Bildergeschichten, lernen neue Wörter. „Mein Arbeitsplatz ist in zwei Wochen verschwunden“, sagt Elisabeth Biewald. Die Bildungsbehörde hat der Bremer Sprachheilschule ab nächstem Schuljahr die ambulante Förderung für sprachbehinderte Kinder gestrichen.

Damit nicht genug: Auch die Beratung für Außenkinder an der Schule selbst wird es nicht mehr geben. Zehn LehrerInnen werden umverteilt. 20 Stunden Defizit mache dies aus, „das sind Stunden außerhalb des Schulbetriebs, auf die verzichtet werden kann“, rechnet Erika Huxhold, die Sprecherin des Bildunsressorts, vor. Eltern, LehrerInnen und die Leitung der Bremer Sprachheilschule sehen das jedoch ganz anders. Der Bremer Schul-Spar-Rotstift setzt bei ihr nämlich genau in dem Bereich an, den die einzige sprachheilpädagogische Sonderschule der Stadt in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt hat: Kinder mit Sprachstörungen sollen nach Möglichkeit nicht separiert und ausgegrenzt werden, sondern in den Regelschulen bleiben. Die Therapie ist als Zusatzangebot gedacht.

„Sprachbehinderung ist die einzige Behinderung, die aufhebbar ist – Prävention ist für uns deshalb das A und O.“ Für Rektor Dieter Fichtner ist die Spar-Richtung der Behörde eine pädagogische Rückentwicklung des Sonderschulsystems. 60 Stunden pro Woche verbringen (oder verbrachten) LehrerInnen der Sprachheilschule im „Außendienst“, betreuen bis zu 300 sprachbehinderte Kinder in 16 Bremer Grundschulen und beraten eben dort auch hilfesuchende Eltern. „Wir haben stets dafür plädiert, die Kinder nach Möglichkeit nicht zu uns zu bringen“, sagt der Rektor. Oft sei das auch gar nicht nötig. Einer Mutter mit einem leicht lispelnden Kind müsse zunächst einmal nur die Verunsicherung genommen werden.

„Wenn wir es genau nehmen, bedienen wir mit dem reinen Festhalten an der Einrichtung Sprachheilschule im Grunde das Stigma der Sonderschulen“, sagt Fichtner. „Der politische Wille in Bremen geht aber doch eigentlich in Richtung Integration.“ Da wird inzwischen fleißig abgebaut und die Behörde pocht auf den Aufbau von Förderzentren. Doch einerseits ist auch dafür überhaupt kein Geld da, andererseits belegen die ersten Berichte der bereits eingerichteten drei Förderzentren in Bremen-Nord: Die Kinder können nicht ihrer Behinderung entsprechend berücksichtigt werden, weil fachrichtungsübergreifend gearbeitet werden soll.

Bremens Sprachheilschule beharrt auf ihrer Spezialisierung plus Außendienstangebot. Doch die Behörde hat die Schule in die Bringepflicht genommen und fordert ein vernünftiges Abbau-Konzept. „Die Schule hat nach wie vor einen Überhang in den Lehrerarbeitsstunden“, sagt Sprecherin Huxhold und fügt gleich an, daß den jetzt abgeordneten zehn LehrerInnen noch weitere folgen könnten.

Die Sprachheilschule, 1974 gegründet, und einst Vorzeigemodell für die Bundesrepublik, soll sich jetzt an den Bundesstandards rückorientieren und eine Spezialsonderschule für die Elementarstufe werden, die bis zur sechsten Klasse führt. Die Klassen sieben bis zehn werden von oben her abgeschnitten. Die siebte Klasse existiert im Schuljahr 96/97 bereits nicht mehr.

„Da werden wir doch doppelt allein gelassen“, erzürnt sich Dominique Wehrmann vom Elternbeirat der Sprachheilschule. „Fällt die ambulante Betreuung weg, werden die Kinder wegen ihrer sprachlichen Auffälligkeiten in ihrer Schule scheitern müssen. Und was wird aus den schwereren Fällen, die jahrelang auf die Sprachheilschule gegangen sind? Für die ist dann mit 12 oder 13 Jahren plötzlich Förderungsende. Das Schulgesetz wird konterkariert!“

Torsten zum Beispiel geht jetzt in die Neunte. Er spricht sehr undeutlich, ist schwerhörig, schreibt die Konsonanten verkehrt. Nächstes Jahr will er auf der Sprachheilschule den Hauptschulabschluß machen und eine Lehre anfangen. „Torsten hat noch Glück gehabt“, sagt seine Mutter. „Warum sollen es die Jüngeren auf einmal wieder schwerer haben?“ sip