Ein Bauer mit Lenor-Gewissen

■ Vier Filme im Jahr sind drei zuviel: In „Die Schutzengel“ gibt Gérard Depardieu wieder einmal den charmanten Gauner

Marianne Gray überliefert in ihrer Biographie Gérard Depardieus eine hübsche Geschichte. Wenn französische Bergbären ein besonders eindrucksvolles Exemplar ihrer Spezies erblicken, sollen sie „Ah, mon dieu! Un Depardieu!“ ausrufen. Mit speckiger Taille, Kartoffelnase, Schaufelkinn und plumpen Füßchen läuft Depardieu, ihr 48jähriges Modell, als Volksschauspieler wenigstens äußerlich zu bärendicker Form auf: ein Bauer mit Fliege, Smoking und schwerer Kindheit.

Mit zwölf war Gérard Depardieu ein kleiner Ganove und schmiß die Schule. Michael Pilorgé, ein Schauspielstudent, brachte Depardieu zur Schauspielerei, indem er den Sechzehnjährigen nach Paris in seine Wohngemeinschaft und ans Theater mitnahm. Depardieu lief einfach hinterher. „Die Schauspielerei hat mich gerettet, sonst wäre ich ein Killer geworden“, behauptet Depardieu. Vielleicht stimmt es sogar. Nachdem ein Hund ihn fast zerfleischt hätte, begab er sich bei Jacques Lacan in Analyse.

Der Skandal um die Vergewaltigungen, an denen er in seiner Kindheit beteiligt war, hat seinem Ansehen nicht dauerhaft geschadet. Alain Resnais, Bertrand Blier, Bernardo Bertolucci, Andrzej Wajda und François Truffaut förderten das junge Talent; Hollywood versuchte es in „Green Card“, „1492“ und „Mein Vater, der Held“ mit dem reiferen. Seinen Ruhm verdankt Depardieu den großen Regisseuren, mit denen er gedreht hat. Er ist ein Schauspieler, dessen Kraft gelenkt und kanalisiert werden muß. Heute jedoch ist Depardieu das offensichtlich egal. Vier Filme im Jahr dreht er – das sind ungefähr drei zuviel.

An Depardieu läßt sich studieren, was man das Robin-Williams- Syndrom nennen könnte: die geradezu ungezogene Unbekümmertheit, mit der sich passable Schauspieler als Klamaukheinis in drittklassigen Komödien verbraten lassen. (Womit man Robin Williams bitter Unrecht tut, hat der sich doch in „The Birdcage“ von seinem Ruf als augenrollender Hysteriker wenigstens partiell freigemacht.)

Woran liegt es also, daß im Falle Depardieus, dessen „Cyrano de Bergerac“ von 1990 immerhin für einen Oscar nominiert wurde, ein guter Film auf drei Reinfälle kommt? Meint der Mann, genug für sein Ansehen getan zu haben? Meint er, Komödie sei keine Kunst? Oh nein, Depardieu schwört auf Komödien, aber er operiert nicht mit Begriffen wie Anspruchskino, Massenklamauk oder Qualitätsgefälle.

Nun ist es äußerst schwierig, alles zu lieben und von allen geliebt zu werden. „In einer schlechten Komödie seid ihr Affen, in einer guten hingegen Komiker, und Ko

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miker zu sein ist ein wahres Vergnügen“, schreibt Depardieu voll des Lobes über seinen neuen Film „Die Schutzengel“, der in Wahrheit ein wirklicher Affenfilm ist. Er zeichnet sich durch alle Qualitäten einer mittelmäßigen Klamotte der späten siebziger respektive frühen achtziger Jahre aus, modernisiert mit ein paar Tricks, die man der amerikanischen Fun-Konfektion der Neunziger geklaut hat („Die Maske“ läßt grüßen).

Depardieu gibt Antoine Carco, einen Nachtclubbesitzer mit kleinkrimineller Vergangenheit, der den Sohn seines toten Gaunerkumpels und vierzig Millionen von demselben unterschlagene Dollar vor der Rache der chinesischen Triaden retten soll. Da der Regisseur Jean-Marie Poiré die Idee, G-Strings, blanke Busen und die katholische Kirche aneinandergeraten zu lassen, so überaus lustig fand, wird der Junge dem Priester Tarain (Christian Clavier) untergeschoben.

Die Geschichte ist ebenso fade wie unwichtig, und auch der Einfall, Carco und Tarain von zwei Schutzengeln verfolgen zu lassen, hätte billiger nicht umgesetzt werden können: Zwei wiederauferstandene Lenor-Gewissen beschatten die beiden. Depardieu selbst meint, er sei in diesem Film „zu allem bereit“ gewesen, „was man auch dem Ergebnis ansieht“. Nicht ohne Grund wurde der Mann, den der „Corel Movie Guide“ immer noch für „sexy“ und „dynamisch“ hält, „zum besten Schauspieler der achtziger Jahre“ gewählt und nicht zum besten der Neunziger.

Man nennt sich gegenseitig „Pudel“, „Schnucki“ und „Brechstange“, baut auf Rumms und Peng und vier Fäuste für ein Halleluja. Bei Verfolgungsjagden wird die größtmögliche Anzahl Autos (85) zu Schrott gefahren, sieben Schiffe müssen dran glauben. Die Maschinengewehre der Triaden nieten reihenweise Leute um, ohne daß die auch nur bluten oder gar sichtbar sterben.

Wenn hier jemand einen Schutzengel gebraucht hätte, so wäre es das Filmteam gewesen. Der Abspann zeigt im Stil der „Grumpy Old Man“ mißlungene Szenen, in denen sich die Darsteller über ihre eigenen Versprecher kranklachen, während der Zuschauer mit schwerster Melancholie zu kämpfen hat.

So, wie es sich gegenwärtig darstellt, liegt Depardieus Vorzug allein in seiner physischen Präsenz, was ihn wohl auch für den Part des Obelix in der geplanten „Asterix“- Verfilmung qualifiziert hat. (Daniel Auteuil wird den Asterix spielen.) Eine Aufgabe, die ich mir ungefähr so verantwortungsvoll vorstelle wie die von John Goodman als Mr. Flintstone. Nötig hätte Depardieu die Vielfilmerei sicher nicht, aber er braucht sie – wie er vorgibt –, „um zu kommunizieren“. Leider versteht unsereins ihn so selten. Anke Westphal

„Die Schutzengel“. Frankreich 1996, Regie: Jean-Marie Poiré, mit Gérard Depardieu, Christian Clavier, Eva Grimaldi, Eva Herzegova u.a. Ab morgen im Kino