Drei opulente Entwürfe zu Individualität und Décadence

■ Hölderlin und Rimbaud als Songwriter: Tocotronic kommen mit Colm und Concord auf den Zuckerberg der Jugendbewegung

“You can–t be twenty on sugar mountain“, sang der Romantiker Neil Young Anfang der 70er. Spätestens seit der Mitte der 80er legen junge Leute in aller Welt diese Zeile auf eine spezielle Art aus. Sie kommen nämlich aus dem Gröbsten heraus, ohne deshalb gleich auf einen Gang zum Zuckerberg zu verzichten. Anders gesagt, sie erreichen das 21. Lebensjahr, ohne deshalb auf das Dichten zu verzichten wie Rimbaud, ohne kurz durchzudrehen wie Hölderlin und ohne sich das Leben zu nehmen wie Werther.

Hamburger Bands wie Colm, Concord oder Tocotronic geht es ein Stück weit auch immer darum, sich die Romantik zu erhalten, ohne daß dafür etwas für sie aufhören muß. Diese opulenten Entwürfe zur Individualität zum Beispiel, die eigentlich mit dem 19. Jahrhundert ausliefen, lassen sie niemals völlig los.

Die Epoche der Décadence umspannt für die genannten Bands die vergangenen 80er Jahre, denn die idealistische Begeisterung Hölderlins für die französische Revolution läßt sich gut mit den brennenden Seelen der neuen, aufgeschlossenen Singer/Songwriter vergleichen. „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“, platzten Tocotronic vor einem guten Jahr heraus. Sänger Dirk von Lotzow ist sich über die Kooptationsmöglichkeiten einer solchen Sentenz wohl bewußt. Lotzow singt aber auch „Samstag ist Selbstmord“ und kann doch am darauffolgenden Montag ein neues Stück schreiben.

Wie Tocotronic haben sich auch Colm untereinander dazu verabredet, Tragik zu überleben. Diese Gruppe probt das Aufbegehren, das sich selber kennenlernen möchte. Colm spielen mit einer Leichtigkeit, als trügen sie eine Pop-Punk-Haßkappe, die jedem gut steht.

Concord heißt das Trio, welches die Sängerin Julia Lubcke nach der Auflösung der Fünf Freunde gegründet hat. Während Lubcke mit schneidender Ehrlichkeit singt, sagt die Musik: Man kämpft für das Recht, weiter Partys auf dem Zuckerberg zu feiern – allerdings auf die Gefahr hin, daß Musikerinnen aus Deutschland den Zuckerberg für eine Entdeckung der Brüder Grimm halten. Bis zur LP abwarten und Tee trinken, wie der Brit-Popper sagt.

Kristof Schreuf

Mi, 19. Juni, 21 Uhr, Große Freiheit