Die Zukunft der Geistes-Tankstellen

■ Heute beginnen die „Buchhändlertage '96“ in Bremen: Die Branche rüstet sich für das digitale Zeitalter / Streit um die Buchpreisbindung

„Wir haben mit dem Sparprogramm des Senats zu kämpfen“, begründete Tilman Sieglin, Vorsitzender des Landesverbandes der Verleger und Buchhändler Bremen-Unterweser, auf der gestrigen Pressekonferenz zu den „Buchhändlertagen '96“ den Umsatzrückgang seiner Branche im vergangenen Geschäftsjahr. Das sei aber noch harmlos gegenüber den Einbrüchen in der Textil- oder Schuhbranche. „Die Leute haben Angst. Sie geben vorhandenes Geld nicht aus“, meint Sieglin. Außerhalb Bremens offenbar schon: Zwei Prozent Umsatzsteigerungen verzeichnet die Branche bundesweit für 1995; in diesem Jahr sind es gar fünf Prozent. Zahlen, die anläßlich der „Buchhändlertage '96“ bekannt wurden. 600 Verleger und Buchhändler sind nach Bremen gekommen, um sich in mehrtägigen Beratungen und Diskussionen für das „online-Zeitalter“ zu rüsten. Ebenso wichtig wie für den Buchhandel wird für die Bibliotheken in Zukunft die Frage des Copyrights und des lending right; das heißt: Wie werden bei elektronischer Verbreitung von Texten und Bildern die Urheberrechte der AutorInnen gewahrt (Copyright-Begriff) und wie kommt etwa eine Bibliothek an ihre Nutzungsgebühren, wenn sie die gewünschten Informationen auf dem – schwer kontrollierbaren – Datenwege zu Verfügung stellt (lending right-Begriff), anstatt Bücher konventionell auszuleihen?

Die Entschließung, die man gestern dazu unterzeichnet hatte, ist den „Prinzipien der Aufklärung“ verpflichtet. Die „gesamte Bevölkerung“ soll Zugriff auf die Informationen haben – in gedruckter Form genauso wie in elektronischer; Stichwort: „Chancengleichheit im digitalen Zeitalter“, wie es Birgit Dankert, Vorsitzende der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände, formulierte.

Trotz der „online-Herausforderung“, der sich der Börsenverein des deutschen Buchhandels mit seinen 4.500 angeschlossenen Buchhändlern und 2.000 Verlagen stellen will, behält „das gedruckte Buch noch über Jahre Leitfunktion“, betont Börsenvereins-Vorstand Gerhard Kurtze. Und, wie trostreich, trotz Multimedia und Internet, ginge es im Buchmarkt „weiterhin um Inhalte“.

Weiteres heißes Thema auf den „Buchhändlertagen“: die Preisbindung. 1888 in Deutschland eingeführt, gilt der bundesweit einheitliche Verkaufspreis von Druckerzeugnissen als Garant für das Überleben von kleineren Buchhandlungen oder, Kurtze zitiert Altbundeskanzler Helmut Schmidt, für das „Netz geistiger Tankstellen“ im Lande. Ein Buch-Discounter aus Österreich hatte kürzlich bei der EU die Aufhebung der Buchpreisbindung beantragt – und sich damit bei den deutschen Nachbarn unbeliebt gemacht. Gerhard Kurtze hat, falls die Österreicher ihr Vorhaben in die Tat umsetzen sollten, mit einer Liefersperre deutscher Verlage gedroht. Mu

Öffentliche Diskussion im Rahmen der „Buchhändlertage“: „Leere Kassen – Neue Rezepte? Literaturpolitik im Umbruch“, Hotel Maritim, Hanse-Saal, 10 Uhr.