Amerika Von Martin Sonneborn

Wer kennt es nicht: Amerika. Das Land, wo alles Neue herkommt. Atom, Kekse mit Bananengeschmack, die Amok-Bewegung, überraschende „News“, die mit den spannenden Worten beginnen: „Amerikanische Wissenschaftler haben entdeckt...“, durchsichtige Coca Cola, die Harald-Schmidt-Show, und, und, und...

Allerdings muß man nicht wirklich „über den großen Ozean“ geschippert sein, um das Land sehr, sehr gut zu kennen. Ich weiß zum Beispiel auch so, daß dort fast alle schwer übergewichtig sind, daß es viele riesige Schwarze gibt, daß alle Amerikaner permanent „great!“, „lovely!“ oder „beautyful!“ zu allem möglichen sagen, schlammfarbene Hosen tragen und Buttons mit Lebensweisheiten wie „Fat kills you“. Viele aus unseren Kreisen nahmen nämlich schon das Flugzeug, flogen nach New York, sahen sich „die Staaten“ mal aus der Nähe an und konnten dann gut informiert Bericht erstatten: Der Geschäftsführer Otte, unser Büroleiter Herr Schmitt, die Damen Tanja und Andrea, und, und, und...

Die Ärztin Frau Dr. Ott ist sogar gerade für drei Jahre „drüben“ und bekam in ihren drei Wochen Jahresurlaub ein Kind, das dank seiner philippinischen „Nanny“ mittlerweile fast fließend polnisch spricht! Diese stolze Mutter konnte auf meine vielen Fragen natürlich mit viel größerer Kompetenz Auskunft geben als etwa eine Freundin von Herrn Krähe, die nur für eine Woche hinüber in den ungeheuren „Schmelztiegel“ New York geflogen war. Und die dann auch ihr Hotelzimmer die ganze Zeit über nicht verließ, weil ihr einfiel, daß sie ja blond sei und sie nicht permanent von irgendwelchen Schwarzen, denen das Gesetz wenig gilt, vergewaltigt werden wollte. Die Damen Tanja und Andrea meinen allerdings, alles Wichtige über Amerika könne man auch in Hotelzimmern lernen, weil die rosafarbenen Wände so dünn sind, daß man genau versteht, was sich die keifenden eingeborenen Ehepaare nebenan zubrüllen und an die Köpfe werfen. Mehr berichten konnte da die Redaktionsassistentin Staniewski, die nicht nur ihr Hotelzimmer verließ, sondern auch gleich noch die Möglichkeit nutzte, eine Rundreise zu machen und dabei für nur „fünf Dollar“ einem Mann ihres Vertrauens die Ehe zu versprechen. Aber die hat auch rote Haare (gefärbt).

Zuviel Umgang mit diesen begeisterungsfähigen und zum Teil sehr dicken Amerikanern in ihren schlammfarbenen Hosen scheint mir allerdings selbst für uns gebildete Europäer nicht zuträglich, ja, ich glaube fast, daß etwa Frau Dr. Ott aufpassen muß! Als sie mich das letzte Mal zu überreden versuchte, nach New York zu kommen (fliegen), antwortete ich geistesgegenwärtig mit einem Bonmot, das sich in lustiger Art und Weise mit dem seinerzeit vielbeachteten Komplettabsturz einer Öger-Tours-Maschine beschäftigte. Frau Dr. Ott war ein bißchen betroffen und beklagte, daß so etwas zweifellos „keine schöne Sache“ sei: „Da fällt man schon mal in warmes Wasser, und dann gibt's da Haie!“ Von den Haien weiß ich nichts, aber eine solche „Denke“ halte ich für eine gefährliche Amerikanisierungstendenz bzw. zeigt einen unschönen Geisteskulturimperialismus, den unsere Experten einmal hübsch im Auge behalten sollten!