Fluchen und Wehklagen

■ Wie verfolgen in Hamburg lebende Türken die Fußball-EM? Einen Rundgang durch einige der türkischen Kulturläden auf St. Pauli unternahm Erol Caner

Vor dem ersten Spiel der türkischen Fußball-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft war die Euphorie unter den Fans noch groß: In einigen Stadtteilen fuhren am Dienstag Autos hupend durch die Straßen, türkische Fahnen wurden geschwenkt. Schließlich ist die Türkei erstmals seit der Weltmeisterschaft 1954 wieder für ein großes internationales Fußball-Turnier qualifiziert. Und der Fußball hat in der Türkei – selbstverständlich auch bei den in Deutschland lebenden Türken – einen sehr hohen Stellenwert.

Der türkische Staatssender TRT, in Hamburg ins Kabelnetz eingespeist, übertrug das Spiel gegen Kroatien am Dienstag abend live, so daß die türkischen Fußballfans nicht auf die Übertragung der ARD mit Kommentator Heribert Faßbender angewiesen waren. Große Ansammlungen von Fans, die das Spiel gemeinsam in einem der türkischen Tee- oder Kulturhäuser auf St. Pauli sehen wollten, mußte man allerdings lange suchen. „Die Leute haben alle Kabelfernsehen oder Satellitenschüsseln“, meint Ergün, Besitzer eines türkischen Restaurants am Neuen Pferdemarkt, „die gucken zu Hause.“

So saßen auch nur drei Männer im „Trabzon Kultur Verein“ vor dem Fernseher, der statt Bildern aus dem Stadion in Nottingham eine Viertelstunde vor dem Anpfiff nur ein Flimmern und Rauschen hergab. Der Wirt stand noch auf dem Dach des ehemaligen Schuhgeschäftes und versuchte verzweifelt, die Satellitenschüssel zu justieren. An den Wänden hängen, wie in fast jedem der türkischen Teehäuser, die Embleme der vier großen Fußball-Clubs des Landes: Fenerbahce, Galatasaray und Besiktas aus Istanbul sowie Trabzonspor von der Schwarzmeerküste. Der Verein aus Trabzon steht auch Pate für den Namen des Kultur-Vereins, denn das Schild über dem Eingang ist in den rot-blauen Vereinsfarben von Trabzonspor bemalt.

Der geringe Besuch ist jedoch sehr ungewöhnlich: Normalerweise ist das Lokal bei Fußball-Live-Übertragungen brechend voll. Beim entscheidenden Spiel um die türkische Meisterschaft zwischen Trabzonspor und Fenerbahce war der Raum bis auf den letzten Platz gefüllt. Nach dem Sieg der Istanbuler Mannschaft kam es zu einem Handgemenge zwischen den Anhängern der beiden Vereine: Ein Fan zog seine Pistole, schoß sich allerdings selbst ins Bein. Die Nationalmannschaft kann an diesem Tag aber kaum einen locken.

Besser besucht ist das 200 Meter entfernte „Topkapi Dernegi“. Dort sind immerhin an die 30 Männer versammelt und fiebern dem Anpfiff entgegen. Was für das Auge eines deutschen Fußballfans befremdlich wirken muß, sind die Getränke, die ausgeschenkt werden: Statt Bier zapft der Wirt Tee aus einem Samowar. Doch es bedarf keines Alkohols, damit hier eine gute Stimmung herrscht.

Beim Spielen der türkischen Nationalhymne kurz vor dem Anpfiff steht niemand auf oder singt mit. Das ist in den Läden, in denen sich Nationalisten treffen, anders. „Doch hier“, weiß Ergün, „sind gemäßigte Leute.“ Während des Spiels wird die eigene Mannschaft angefeuert, gute Spielzüge beklatscht. Entscheidet der Schiedsrichter für die Türkei, kommentieren das die Männer mit „Bravo“-Rufen, wenn er für die Kroaten pfeift, wird die ganze Bandbreite türkischer Schimpfwörter genutzt.

Die türkische Elf hält sich gegen die favorisierten Kroaten beachtlich. Es steht kurz vor Schluß 0:0. Die Mienen der Männer drücken Zufriedenheit aus: Man hätte sich zwar einen Sieg zum Auftakt gewünscht, doch ein torloses Remis gegen die mit internationalen Stars gespickte gegnerische Mannschaft wäre auch schon ein Erfolg. Dann passiert doch noch das große Unglück: Fünf Minuten vor Spielende gelingt den Kroaten das 1:0. Lähmendes Entsetzen beherrscht den Raum. Wie konnte das nur passieren?

Noch Minuten nach dem Abpfiff sitzen die Männer fassungslos da, nur ab und an ist ein leises Fluchen oder Wehklagen zu hören. Nach einer Weile kehrt aber wieder Zuversicht ein. „Wir können doch noch Portugal und Dänemark schlagen“, bemerkt jemand. „Klar“, stimmt ein anderer zu, „wir hatten einfach nur Pech.“ Vielleicht ist das ja heute abend gegen Portugal anders.