Meine Tochter malt jetzt rote Haare

■ Mit „Hippy“ lernten Zinaida Moiseev (42) und Christina (5) aus Kasachstan Deutsch und andere seltsame Dinge / Das Mutter-Kind-Programm kommt aus Israel, vor vier Jahren holte es das Rote Kreuz nach Bremen

Christina (5) malt den Menschen rote Haare. Ihre Mutter findet das seltsam und lacht trotzdem. Das hätte sie sich in ihrer Heimat in Kasachstan so nicht getraut. „Meine Tochter sagt: Das soll so sein! So kann sie sprechen!“ Vieles ist anders geworden für Zinaida Moiseev (42), seit sie mit ihrer Familie hier in Bremen lebt: „Bei uns war da mehr Abstand zu den Eltern. Die Kinder wurden streng erzogen, hier lernen sie: ,Mach, was du willst.' Ich schreibe Briefe nach Rußland und erzähle das. Ich finde das gut.“

Daran hat auch „Hippy“ seinen kleinen Anteil. Hippy steht für Home Instruction Program für Preschool Youngsters und wurde 1969 in Israel gegründet. In Bremen kam Hippy 1992 als Integrationsprogramm für Ausländer- und Aussiedlerfamilien an und landete beim Deutschen Roten Kreuz (DRK). Hippy möchte die Lernfähigkeit der Zuwandererkinder fördern und bezieht dabei die Mütter gleich mit ein. Zwei Jahre dauert ein Hippy-Durchlauf, in diesen Tagen geht der zweite seit Bestehen in Bremen zu Ende.

„Ich bin dabei auch anders geworden“, sagt Zinaida Moiseev und reicht Kuchen. „Ich wurde jünger.“ Auf ihrem Wohnzimmersofa sitzt zum vorerst letzten Mal Natalia Dymski, ihre „Hippy-Frau.“ Frau Dymski kam alle zwei Wochen, Frau Moiseev schlüpfte dann in die Rolle der Schülerin, las Bilderbücher, lernte geometrische Formen und schnitt Sternchen aus. „Was hast du gemalt?“ fragt die Lehrerin. „Ich habe einen Hund gezeichnet“, sagt Zinaida Moiseev. „Zu Hause hatten wir vier Hunde, der große war an einer Kette.“

Was die Mutter lernt, bringt sie Christina bei. Deutsch vor allem, denn die 5jährige sprach kein Wort, als die Familie vor anderthalb Jahren Haus und Hof in Karaganda in Kasachstan verließ. Zinaida Moiseev dagegen war noch von der Großmutter in Deutsch unterrichtet worden: „Zu Hause war das, a bißchen altmodisch und a bißchen streng.“ Sie wußte gar nicht, daß sie das behalten hatte, selbst ihr Mann staunte bei der Ankunft in Deutschland. Jetzt ist auch der Dialekt noch weg – nur das Küken ist bei Zinaida Moiseev ein „Kieken“ geblieben.

Für Hippy-Mütter ist das Deutschsprechen allerdings nicht Voraussetzung. Vielmehr steigen die meisten Frauen über Hippy ein und besuchen später erst ihre eigenen Sprachkurse. 90 bis 100 Familien betreut das DRK im Jahr, russische, polnische und türkische. Die Hausbesucherinnen betreuen jeweils 15 Mütter und sollen aus dem gleichen Kulturkreis wie diese stammen. Dafür sind sie beim DRK auf zwei Jahre als Halbtagskraft angestellt.

„Ich hatte ja so viele Fragen.“ Zinaida Moiseev lächelt höflich Natalia Dymski an. „Ich war zwar nicht schüchtern, aber ich kannte mich gar nicht aus.“ Was muß sie bei den Ämtern sagen? Wie findet sie einen Sportverein für Sohn Vladimir (10 Jahre alt)? „Das konnten aber auch Kleinigkeiten für das Hausleben sein: Am Anfang pinkelte meine Tochter Christina jede Nacht. Bei Hippy konnte ich diese Frage stellen.“

Hippy-Lehrerinnen werden von Sozialpädagogin Monika Schmidt vom DRK eingewiesen und auch regelmäßig von Prof. Dr. Avima Lombard besucht. Sie hat das Programm an der Hebrew-University in Jerusalem gegründet, weil sie die Probleme der vielen Einwandererfamilien in Israel ernst nahm. Hippy-Bilderbücher und -Aktionshefte entstanden unter Lombards Federführung. Sie gelangten seither in die USA, nach Mexiko, Südafrika. Die Niederlande sind flächendeckend mit Hippy versorgt. In Deutschland haben nur Bremen und Nürnberg reagiert.

200 Mütter und ihre Kinder hatten also Glück, daß sich die Hansestadt 1992 auf das Modellprojekt einließ. Leben sie wie Zinaida Moiseev von der Sozialhilfe, bezahlen sie sechs Mark im Monat, Verdienende dagegen zwölf. „Nennen wir dies den Unkostenbeitrag“, sagt Monika Schmidt vom DRK. „Damit fahren wir zum Zoo und finanzieren Weihnachtsfeiern.“ Doch Hippy kostet inklusive der Lizenzgebühr für Israel rund 240.000 Mark pro Jahr. Anfangs teilten sich diese der Bund und Bremen. Mittlerweile übernimmt der Senator, der außer für Gesundheit und Umweltschutz auch für die Jugend zuständig ist, 45 Prozent. Das DRK steuert fünf Prozent bei. Die Hälfte bleibt von Jahr zu Jahr offen, die Hippy-Hoffnung heißt EU.

Im Herbst wird Zinaida Moiseev wie ihr Mann wieder arbeiten. Tochter Christina geht dann in den Kindergarten. Zeit hat die 5jährige schon jetzt nur wenig: Sie schaut kurz vorbei, holt ihr Micky-Mouse-Malbuch und blättert schnell durch. Deutsch spricht sie schon, jaber nicht jetzt. Christina ruft nur „Tschüss, Mama.“ Die Mama schmunzelt. Silvia Plahl