Der gemalte Gottesdienst

Tiefgründige Rekonstruktion oder bloßes Spiel mit Ikonen? In Hannover zeigt die Kestner-Gesellschaft den Pop-art-Epigonen Ford Beckman  ■ Von Michael Stoeber

Sein Name klingt nach Zitat. Bei Ford Beckman denkt der Kunstfreund automatisch an den großen deutschen Expressionisten. Dabei hat sich der 1953 in Columbus, Ohio, geborene Maler mit Ausstellungen in Manhattan, Basel und Mailand durchaus Pop-art-bewußt etablieren können. Jedenfalls tritt er mit entsprechenden Statements auf: „Bei großer Kunst bleibt dir die Luft weg. Meine Bilder werden dich zum Denken zwingen; denn sie sind tiefgründig, reich und extrem machtvoll.“

Die früheste Arbeit des 43jährigen US-Amerikaners in Hannovers Kestner-Gesellschaft ist allerdings eher ein Programmbild, als daß es durch künstlerische Kraft überzeugte. Wie unter einem Brennglas zeigt die 1985 entstandene Arbeit auf plakative Weise die widerstrebenden Kräfte, die den Künstler umtreiben. In der Bildmitte und zugleich im Zentrum eines schwarzen Ovals mit verwischten, aufgeworfenen und pastosen Rändern findet sich ein vertikal ins Bild montierter Zollstock; auf ihm sitzt ein schwarzes hölzernes Quadrat. Um diesen Aufbau herum findet sich eine geometrische Kreideskizze aus Halbkreis, Winkel und Rechteck. An den Rändern des Ovals, das wie ein Schild wirkt, schimmert ein weißlich-gelber Farbgrund.

Das Bild zitiert sich durch die Moderne. Mit Schwitters und Rauschenberg ziehen reale Objekte auf die Leinwand, mit Malewitsch und Mondrian Quadrat, rechter Winkel und elementarer Kontrast und mit Ad Reinhardt die blendende Helligkeit eines aufgebrochenen Schwarz. Dabei versucht Beckman den schwierigen Balanceakt zwischen geometrischer Konstruktion und malerischer Geste.

In den 1987 zum erstenmal gezeigten „Black Wall Paintings“ gelingt ihm diese Kombinatorik weitaus besser. Schwarz und Weiß stellt er in großformatigen Rechtecken und Quadraten in harten Kontrasten einander gegenüber. Die Kolorite bauen sich auf aus Dutzenden von Farbschichten, Zusätze von Wachs und Latex sorgen dafür, daß sie eine sinnliche Präsenz behaupten. Die Leinwände der oft mehrteiligen Bildtafeln spannen sich wie Haut über die wuchtigen Bildträger aus Holz und Stahl.

Unter dem satt aufgetragenen Firnis speichern die matt schimmernden Farben Licht und Dunkel. Beckman versteht diese Bilder als Selbstporträts, als gelebtes Leben. Die monochromen Flächen sind für ihn Erzählungen von Anfechtung und Auseinandersetzung, von Schlacht und Sieg, Triumph und Niederlage: „Jeder Tag ist Kampf, jeden Tag werden wir von guten und bösen Kräften hin- und hergezogen. Und meine Bilder zeigen den Druck und die Kraft all dieser Dinge.“

Ähnlich emphatisch spricht der Künstler auch über seine Pop paintings. Seine lachenden Clowns und melancholischen Harlekins setzt er im Siebdruck – jenem Bildmittel, das Warhol für die Moderne nobilitiert hat – auf wechselnde Untergründe aus Comicseiten, Tapetenmustern und Linoleumböden. Dies und der nachbehandelnde Pinselgestus gibt ihnen jene Unverwechselbarkeit wieder, die sie im reihenden Druck gerade verloren haben. Der Clown ist für Beckman eine vollkommene Ikone dieser Zeit, ein Sinnbild seiner Generation, ja der Menschheit, die ihr wahres Selbst hinter einer Maske versteckt und noch unter Tränen lächelt.

Auch ein anderes Motiv will Beckman als sinnstiftendes Emblem unserer Zeit ausgemacht haben. Red meat – rotes Fleisch, roh und blutig, auf Steak-Bildern. Das gleichfalls im Siebdruckverfahren vor wechselnden Farbhintergründen ausgeführte Sujet ist die Umsetzung einer Sprachmetapher in eine Bildmetapher. Verlangt jemand im Englischen oder Amerikanischen nach Red meat, will er im übertragenen Sinn die Wahrheit wissen.

Die Steak-Bilder versteht Beckman auch als Symbol eines besinnungslosen Körperkultes, als Ausdruck eines grassierenden Exhibitionismus und kruden Umgangs miteinander, ja sogar als zeitgenössisches Symbol für vanitas und Memento mori. „Ich wollte all die Rohheit meiner Zeit zeigen; das Stück Fleisch sieht aus wie eines von Warhols ,Car Crash‘-Paintings. Mein Vater war ein Clown, bevor er starb. Ich war bei seiner Beerdigung, aller Geist war aus dem Körper gewichen, und alles, was zurückblieb, war ein Stück Fleisch.“

Gerne verbindet der Künstler auch das Clownsmotiv mit Red meat. So hat er bei einer Arbeit in der Manier der Combine paintings neben das nachdenkliche Gesicht eines Pierrots einen saftigen Schinken ins Bild gehängt – neben das Spiel gewissermaßen den Ernst gesetzt, neben die Maskerade die Wahrheit, neben Kultur die Natur. Und damit ist man einmal mehr bei den widerstrebenden Kräften, die Beckman bewegen und die er in seinen Arbeiten immer wieder harmonisieren möchte. Sein Heil hat er dabei in der Kunst gefunden, die er betreibt wie einen Gottesdienst: „Im Kern meiner Arbeit geht es um Gottesverehrung.“ Ob seine Betrachter ihm allerdings bei diesem Halleluja folgen und Ford Beckmans diverse Existenzmetaphern akzeptieren werden, noch weiß man's nicht.

Bis 30. Juni, Kestner-Gesellschaft, Hannover. Katalog: 40DM (in der Ausstellung), danach 58DM