„Kampf dem Kapital!“

SPD-Parteitag in der Krise: Vorsitzender bekommt zu gutes Ergebnis, und Senatorin Stahmer will den „Jugenderlebnisbereich“ jetzt „wirklich reformieren“  ■ Von Dirk Wildt

Mit der sozialen Gerechtigkeit ist es schon schwierig: Wie spart man auf Kosten der Gutbetuchten und nicht zu Lasten der Minderbemittelten? Die SPD wollte auf ihrem Parteitag am gestrigen Sonntag – einen Tag nach der Großdemonstration der Gewerkschaften in Bonn – Antworten finden, doch die Ergebnisse fielen mager aus. Auch die Wiederwahl des Landesvorsitzenden Detlef Dzembritzki wurde zum Desaster: Mit 60 Prozent der Stimmen erhielt der ideen- und profillose Mann deutlich mehr, als er verdient hätte.

Schon vormittags deutete sich in der Kongreßhalle am Alex an, daß die Sozis zur Zeit nichts zu bieten haben. Gerlinde Schermer, Ex- Mitglied im geschäftsführenden Landesvorstand, wollte an „alte Traditionen“ erinnern, berief sich auf Karl Marx und qualifizierte sich mit dem Satz „Kampf dem Kapital!“ sogar für die Kommunistische Plattform der PDS. Denn wie sie sich eine begrüßenswerte Umverteilung von oben nach unten vorstellte, konnte sie nicht erklären. Immerhin: Schermer hatte Marx' Mammutschinken „zuletzt vor 20 Jahren“ gelesen und konnte so ganz nebenbei beweisen, daß sie über ein ausgesprochen gutes Erinnerungsvermögen verfügt.

Die ehemalige Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer, jetzt Schulsenatorin, versuchte den Beitrag der Vorrednerin zu retten und bot der Partei ein nettes Häppchen an: „Was wir wirklich machen können, ist eine wirkliche Reform des Jugenderlebnisbereichs.“ Doch das Publikum verkannte die Chance, Zukunft sozial und gerecht zu gestalten, und hielt sich mit Applaus zurück. Auch mit anderen bedeutenden Erkenntnissen stieß die Politikerin auf eher verständnislose Gesichter: „Wir müssen aufpassen, uns die Sündenböcke nicht in den Weg zu stellen“, sagte sie zum Thema Bildungspolitik, und es war jedem selbst überlassen, diesen Satz zu verstehen.

Überhaupt bewiesen die Sozialdemokraten gestern im Schulbereich zurückgewonnene Kompetenz. Die Parteilinke Monika Buttgereit warb für das „Leitziel“, in Schulen „alle Kinder“ zu integrieren. Damit begab sich die Partei endlich in jene Rolle zurück, die kurze Zeit später Senator Peter Strieder als vermißt meldete: „Wir müssen wieder eine linke Volkspartei werden.“ Er sprach sich im übrigen für den Transrapid aus – ein wirklich mutiger Vorstoß, denn es sei „links, gegen das Projekt zu sein“. Der Applaus fiel auffällig heftig aus, was die über 200 Delegierten aber relativierten. Denn die Reden gegen die Magnetbahn beklatschten sie genauso laut.

Den vorläufigen Tiefpunkt bot der Parteitag, als er eine Abstimmung über den einzig ernstzunehmenden und wegweisenden Antrag ablehnte. Eine Abteilung in Tiergarten forderte, den Landesparteitag abzuschaffen und statt dessen „zweimal jährlich zu einer Kaffeefahrt“ einzuladen. Die Orientierungslosigkeit der Partei offenbarte sich aber weniger in dem Beschluß, sich mit dem Antrag nicht zu befassen, sondern vielmehr dadurch, daß der 31jährige Antragsteller Michael Ulex im nachhinein einräumte, den Antrag ironisch gemeint zu haben.

Auf den endgültigen Tiefpunkt steuerte die Partei am frühen Nachmittag zu, als sie Detlef Dzembritzki bei der Wiederwahl zum Landesvorsitzenden mit 60 Prozent deutlich zu gut abschneiden ließ. Er selbst interpretierte das Ergebnis allerdings weniger positiv. „Bei der SPD ist 60 Prozent ein stabiles Ergebnis.“ Auch er hatte zuvor gegen den Kaffeefahrtantrag gestimmt, wußte bei einem Blick in die Reihen der Delegierten aber auch nur zu sagen: „Als Optimist gebe ich die Hoffnung nicht auf.“

Immerhin bewiesen in dieser schwierigen Lage Landesgeschäftsführer Rudolf Hartung und der Parteilinke Klaus-Uwe Benneter im Umgang mit ihrem Landesvorsitzenden Takt. Als sie in seiner Gegenwart gefragt wurden, ob Dzembritzki mit den 60 Prozent nicht mehr als zufrieden sein müßte, drehten sie sich um und verschwanden kommentarlos.