Luftkurort mit Kriegsverbrechern

51 Jahre nach Kriegsende ermitteln Staatsanwälte gegen Mitglieder eines SS-Bataillons  ■ Aus Pottenstein Bernd Siegler

Pottenstein, das sind schmucke Fachwerkhäuser, Tropfsteinhöhlen und herrliche Wälder im Herzen der Fränkischen Schweiz zwischen Nürnberg und Bayreuth. Ein Bilderbuch-Urlaubsgebiet. 250.000 Übernachtungen im Jahr lassen in der 5.000 Einwohner zählenden Kleinstadt die Kassen klingeln.

Prosperierende Gegenwart und rosige Zukunftsaussichten also, doch mit der Vergangenheit hat der Luftkurort so seine Probleme. Die, in Gestalt des SS-Standartenführers Hans Brand und seines in Pottenstein stationierten SS-Karstwehrbataillons, holt ihn immer wieder ein. Jetzt ermitteln Staatsanwaltschaften in Deutschland und Österreich wegen Kriegsverbrechen.

SS-Führer Hans Brand ist in Pottenstein nur der „Professor Brand“. Der, so betont CSU-Bürgermeister Dieter Bauernschmitt, sei in „erster Linie ein großer Förderer des Fremdenverkehrs von Pottenstein“ gewesen. Der Geologe Brand hat mit der 1922 begonnenen Erschließung der Teufelshöhle, Deutschlands größter Schauhöhle, in der Tat den Grundstein für den Aufschwung des Ortes gelegt.

Auf einer Bronzetafel am Eingang der Höhle würdigt die Stadt Pottenstein den 1959 Verstorbenen denn auch „in Verehrung und Dankbarkeit“.

Doch Brand war nicht nur Heimatforscher. Seit Juli 1942 befehligte er das in Pottenstein stationierte SS-Karstwehrbataillon, eine 1.000 Mann starke Einheit für die Partisanenbekämpfung in Jugoslawien. Auf Brands Initiative hin wurde in Pottenstein ein Außenlager des KZ Flossenbürg errichtet. Die Häftlinge mußten nicht nur ein Barackenlager für die Elitetruppe errichten, sondern auch die Teufelshöhle von Lehm und Steinen befreien.

Daß 380 Häftlinge die Tortur des Lagerlebens und der Fronarbeit nicht überlebten, war der Stadt Pottenstein lange Zeit keinen Gedenkstein wert. Man versuchte, die Vergangenheit zu verdrängen, doch dabei hatte man die Rechnung ohne Peter Engelbrecht, Journalist des Nordbayerischen Kuriers in Bayreuth, gemacht.

Der recherchierte akribisch, förderte immer mehr Details zutage und kritisierte, daß die Stadt auch noch eine Straße nach dem SS-Führer benannt hatte. „Der Hans-Brand-Ring ist das mindeste, was Brand verdient hat. Er war ein Glücksfall für Pottenstein“, zeigte sich Altbürgermeister Hans Körber genauso unbelehrbar wie viele der Einwohner.

Nach Aktionen einer Jugendinitiative und mehreren Fernsehberichten rang sich die Gemeinde schließlich zu einem Gedenkstein für „alle Opfer des Krieges“ durch und erwähnte darauf auch das KZ- Außenlager.

Zeitgleich mit Aufstellung der Gedenktafel zog man die 124 Seiten starke Akte von Brands Entnazifizierungsprozeß aus der Tasche. Demnach wurde Brand von einer Münchner Spruchkammer im Juli 1949 nicht nur als „unbelastet“ eingestuft. Das Urteil stützte sich auf Berichte des SS-Sicherheitsdienstes, wonach Brand gar ein „hartnäckiger Gegner und bewußter Saboteur des Nazismus“ gewesen sein soll.

„Daß Brand jetzt nahezu als Widerstandskämpfer hingestellt wird, ist ein starkes Stück“, dachte sich Engelbrecht, machte sich erneut auf die Suche und wurde bei Tone Ferenc in Ljubljana fündig. Der Professor für neuere Geschichte an der dortigen Universität hatte gleich nach Kriegsende über die deutsche Partisanenbekämpfung zu recherchieren begonnen. Schon vor zwanzig Jahren veröffentlichte Ferenc seine Ergebnisse. Er schrieb, daß es wahrscheinlich keine deutsche Truppe gab, die in Slowenien so viele Verbrechen begangen hat wie das SS-Karstwehrbataillon unter Brand. Detailliert listete Ferenc von dem SS-Bataillon verübte Massenerschießungen und Strafaktionen sowie von ihm verbrannte Dörfer auf.

Gegenüber der taz betonte er: „Brand war ein Kriegsverbrecher, der wäre bei uns bestimmt zum Tode verurteilt worden.“ Doch Brand gab Ende März 1944 seinen Kommandeursposten ab und lebte nach dem Krieg unbehelligt in Bayreuth. Die SS-Karstwehr wütete dagegen bis Kriegsende weiter. Am 11. Juni 1944 stachen Männer der Einheit im Dorf Idrijske Krnice unter dem Gejohle ihrer SS-Kameraden zwei Partisanen zunächst die Augen aus und enthaupteten sie dann mit einer Axt. Zur Abschreckung stellten sie die beiden abgeschlagenen Köpfe auf einen Tisch.

Die von SS-Männern geschossenen Fotos fielen Partisanen in die Hände, und schon im Herbst 1944 wurde dieser Fall von der slowenischen Kommission zur Untersuchung von Kriegsverbrechen veröffentlicht. Zusätzlich fand Ferenc einen Bericht des Reserve-Gebirgsjägerbataillons 139, das in der Nähe stationiert war. Der deckt sich exakt mit den Zeugenaussagen aus dem Dorf.

Derzeit versucht das bayerische Landeskriminalamt die Mörder der beiden Partisanen ausfindig zu machen. Bei der federführenden Staatsanwaltschaft in Würzburg werden „umfangreiche Ermittlungen“ gegen Angehörige der SS- Karstwehreinheit geführt“.

In diesem Rahmen wurde auch Professor Ferenc bereits als Zeuge einvernommen. Er glaubt auf dem Bild den SS-Sturmbannführer Karl W. als Verantwortlichen der Aktion erkannt zu haben. Der heute 80jährige lebt in Salzburg. Gegen ihn ermitteln auch österreichische Behörden. W. Streitet alles ab: „Das sind Märchen.“

„Was will man noch mehr, es gibt die Fotos und den genauen Bericht einer deutschen Einheit!“ empört sich Ferenc. Es sind auch Fotos von den 1975 bis 1987 regelmäßig in Pottenstein veranstalteten Treffen von bis zu zweihundert Angehörigen der SS-Karstwehr vorhanden. Auf ihnen entdeckte Engelbrecht den Ex-SS-Mann W. In vorderster Front. Die Veteranen legten damals mitten in der Stadt am Kriegerdenkmal Kränze für ihre Kameraden nieder. In Schreiben bedankten sich die SS- Kämpfer „ganz besonders herzlich“ beim städtischen Fremdenverkehrsamt für die „freundliche Aufnahme im Luftkurort“ und die Vermittlung der Übernachtungsquartiere.