Radio aus dem Paradieso

■ In diesem Jahr kommt das erste christliche Radio über Deutschland: "Ewige Wahrheiten" und die "südliche Leichtigkeit des Seins" sollen verschmelzen

Für einen Radiomann sagt Rainer Thun ziemlich wenig. Schweigsam sitzt er in seinem geräumigen Büro in der Kieler Innenstadt, in das über den Balkon ein sanfter Ostseewind weht. Der evangelische Pfarrer hat Höheres im Sinn, das sieht man gleich: Noch in diesem Jahr will er in Berlin Deutschlands erstes kirchliches Vollprogramm starten. Anfang Mai stellte der Berlin-Brandenburger Medienrat Thuns Evangelischem Presseverband Nord eine Lizenz für die reichweitenstarke Frequenz 98,2 in Aussicht.

Mit seinen Boxershorts und der Ostseebräune ist Thun eher der Typ Urlaubspfarrer – einer, der auf den Campingplätzen gelangweilte Kleinfamilien mit Spielchen für die Kirche rumkriegt. Was er tatsächlich auch einmal gemacht hat. So ähnlich soll wohl auch die Mission im Äther funktionieren. Dafür spricht schon der Name: Radio Paradiso. Das klingt nach Pastellfarben, Bräune und nach Kirche durch die Plastikblume.

Dieser Name bringe doch „ewige Wahrheiten“ mit der „südlichen Leichtigkeit des Seins“ zusammen, sagt Thun. Und genauso müsse das Kirchenradio sein: „Einfach das positive Lebensgefühl eines Christen“ ausstrahlen. Viel Musik solle es geben und Gottesdienste am Sonntag. Andererseits solle Paradiso kein reines Kirchenprogramm sein, sondern eher „journalistisch und „unterhaltend“. Schließlich sei Paradiso von Anfang an seine „Privatinitiative“ gewesen. „Eines Tages habe ich gemerkt, daß ich selber mal gern ein Radio machen würde“, sagt Thun, und deshalb ging er zu seiner Landeskirche und anschließend zu der in Berlin-Brandenburg, um sie als Gesellschafter zu werben. So einfach war das? So einfach war das.

Doch fragt man Thuns Gesellschafter, sieht die Sache gar nicht mehr so sicher aus. Während die brandenburgische Kirche ihre Beteiligung „in sehr bescheidenem Rahmen“ halten will, ist in Hamburg noch gar nichts entschieden. Lediglich Thuns Anfrage wird dort bestätigt. Wenn die nordelbische Kirchenleitung im Juli zusammenkommt, so Sprecher Okke Peters, werde sie sich davon leiten lassen, daß „sehr wenig Geld in der Kasse“ sei. Immerhin will die evangelische Darlehensgenossenschaft 100.000 Mark für den christlichen Sender springen lassen.

Die sind auch nötig, denn bevor die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) die Lizenz ausstellt, muß die Gesellschafterstruktur stehen, die Gesellschafterbasis wenn möglich verbreitert werden. Das weiß auch Thun und deswegen klopft er inzwischen bei allen Landeskirchen an. Dabei wolle Paradiso, so der Radio-Pastor, von der Kirche nur die Einlage und die Anschubfinanzierung: „Das soll ja kein Radio der Landeskirchen sein.“ Erst einmal auf Sendung, werde sich das Projekt selbst refinanzieren. Nicht durch Werbung (um die konkurrieren in Berlin schon zu viele), sondern allein durch Spenden und Sponsorengelder. Da ist der Radiomacher ganz unbesorgt.

Das ist er auch sonst. Daß es in der Hauptstadt die eine oder andere Konkurrenz gibt, hat er schon läuten hören. Doch Thun nimmt's als Herausforderung, daß er seinen Gottesfunk ausgerechnet im vielzitierten „Haifischbecken“ aussetzt – ebenso wie das „entchristlichte Klima“ in der Heidenmetropole: „Das hat einen gewissen Charme, wenn man so einen Sender in der Hauptstadt startet.“ Wie man dort auf den neuen Kanal reagiert, das will Thun dann sehen. Dabei war es eher Zufall, daß das Projekt „gemeinnütziges christliches Radio“ in Berlin startet. Eigentlich nur, „weil dort gerade eine Ausschreibung war“, und der dortige Medienrat dem Programm die Lizenz in Aussicht stellte. Vor allem wegen des „Vielfaltsaspekts“ – denn so etwas wie Paradiso gibt's eben noch nicht. Jahrelang hatte sich die MABB anhören müssen, daß sie ewig das gleiche lizensiert. Nun könnte man endlich einmal zeigen, daß man gelernt hat.

Obwohl medienrechtlich selbstverständlich, war es fast schon mutig, daß der Medienrat dem CDU- nahen Kommerzfunkpionier Georg Gafron die Lizenz für jene 98.2-Frequenz nahm, in die er sich stiekum eingekauft hatte. Banalfunker Gafron macht seitdem das Vorhandensein von Rundfunkregeln für alles und jedes verantwortlich. Sogar dafür, daß er Leute entläßt, weil sich sein einstiges Flaggschiff Hundert,6 bei der Hörergunst im Sturzflug befindet.

Zumindest in punkto Idealismus ist ihm Pastor Thun schon jetzt voraus. Die erste Vollprogramm- Lizenz noch gar nicht in der Tasche, denkt er bereits an bundesweite Verbreitungswege: „Natürlich wollen wir in die Kabelnetze“, schwärmt er und im Tonfall des Missionars: „Überall, wo eine terrestrische Frequenz ausgeschrieben wird, werde ich mich bewerben. Als erstes in Schleswig- Holstein.“ Damit sich die ewigen Wahrheiten weiter an den Ostseestrand ergießen. Lutz Meier