Eurotopia

■ betr.: „Mit Volksentscheiden ins ,eurotopio‘“, taz vom 11. 6. 96

Ich bin der taz ja dankbar, daß sie unser neues Buch zur „Transnationalen Demokratie“ überhaupt rezensiert hat. Und als ich die falsche Namensbezeichnung unserer europäischen BürgerInnenbewegung sah – sie heißt seit ihren Anfängen eurotopia und nicht „eurotopio“, wie die taz titelt – , dachte ich zuerst an einen sanften Hinweis darauf, daß sich an unseren halbjährlichen Treffen in einer europäischen Metropole nicht immer gleich viele Frauen wie Männer beteiligen.

Doch die Rezension selber ist nicht weniger schludrig. Christian Rath konnte der alten, bis heute außerhalb der taz noch viel zu verbreiteten deutschen Versuchung nicht widerstehen, ein europäisch avantgardistisches Buch aus der Schweiz, an dem sich jedoch über 20 AutorInnen aus mehr als zwölf Ländern beteiligten, schräg anzusehen, von oben herab abzukanzeln und sachlich nicht ernst zu nehmen. Hätte Rath genauer und offener hingesehen, dann hätte er gemerkt, daß wir ausdrücklich vom ersten deutschsprachigen Buch zur „Transnationalen Demokratie“ schreiben; denn wir kennen die englischsprachigen Autoren von David Held bis Richard Falk durchaus. Zweitens hätte Rath weniger voreingenommen merken können, daß die Reformperspektive einer europäischen, transatlantischen Verfassungsgebung den tatsächlich weit verbreiteten Klagen über die EU-Legitimitätsdefizite einen Ausweg gegenüberstellt, welcher der bisher bekannten Literatur eben fehlt.

Und wenn Rath vor allem die Aufsätze von Theo Schiller, Heinz Kleger, Bruno Kaufmann und Roland Erne gelesen hätte, dann hätte er gesehen, daß bereits ausgeführt wird, was er als Mangel einklagt: daß nämlich eine transatlantische Öffentlichkeit in der notwendigen Tiefe und Breite im Zuge des Verfassungsgebungs- und Demokratisierungsprozesses erst entsteht und nicht als deren Voraussetzung angesehen werden darf.

Ähnlich verhält es sich bei der sehr deutschen Frage nach einer „gemeinsamen Identität“: Soll diese nicht regressiv sein, so entsteht sie, wie Autoren von Max Frisch bis Görgy Konrad seit Jahrzehnten betont haben, aus dem gemeinsamen Handeln und Ringen um ein Zukunftsprojekt und nicht aus oft gar nicht so integrativen vergangenen „Gemeinsamkeiten“.

Daraus folgt: Wer die Renationalisierung Europas verhindern will, muß dessen Demokratisierung voranbringen. Darauf können wir nicht „warten“, wie Rath getreu dem attentistischen Zeitgeist suggeriert, sondern was tun, und gemeinsam in unsere eigenen Hände nehmen, was wir verändern müssen. In diesem Sinne können alle EuropäerInnen von den alten neuen sozialen Bewegungen einiges lernen und sich von ihnen inspirieren lassen. Andreas Gross, Politikwissen-

schaftler, Zürich/Schweiz