"Antisemitismus ist eine Ausnahme"

■ Am kommenden Sonntag wird der Papst mit Vertretern des Zentralrats der Juden in Deutschland sprechen. Ignatz Bubis will den Heiligen Vater unter anderem auf den geplanten Supermarkt bei Auschwitz ansprec

taz: Herr Bubis, eines haben sie mit dem Papst gemeinsam. Sie sprechen sehr viele Sprachen. Werden Sie mit dem Papst auch polnisch reden?

Ignatz Bubis: Offiziell natürlich nicht. Bei dem Gespräch am Sonntag sind viele dabei, die nicht polnisch sprechen. Es kommen Kardinäle, und vom Zentralrat sind wir sechs.

Bei einem Vortrag in der Katholischen Akademie in Berlin sprachen Sie auch über den Antijudaismus und Antisemitismus der Kirche in Polen. Wird dies ein Themenkomplex bei Ihrem Gespräch sein?

Ich werde den Papst darauf aufmerksam machen, daß sich dort zwar vieles geändert hat, aber es noch viel Unausgegorenes gibt. So hat der Beichtvater von Walesa in seiner Anwesenheit, als er noch Präsident war, bei einer Predigt im letzten Sommer gesagt: Polen habe immer unter drei Zeichen gelitten. Nämlich unter dem Hakenkreuz, Hammer und Sichel und unter dem Davidstern. Aber das sind Ausnahmen.

Auf jeden Fall erwähnen werde ich, daß es zwar in der oberen Hierarchie der katholischen Kirche keinen Antisemitismus mehr gibt, aber daß sich dies noch nicht alles bis zum letzten Pfarrer rumgesprochen hat.

Für Ihr Gespräch hat das Protokoll eine halbe Stunde vorgesehen. Welche Themen werden Sie noch anschneiden?

Das ist noch nicht entschieden. Es war der Wunsch des Papstes, uns zu treffen, und da ist es unhöflich, wenn wir nur über das sprechen, worüber wir uns Gedanken machen. Aber thematisieren möchten wir noch die Vorkommnisse um Auschwitz. Die Nonnen, die früher in einem Gebäude auf dem Gedenkstättengelände lebten, haben dieses der Firma Maja überlassen. Das ist die Firma, die dort jetzt den Supermarkt bauen möchte. Dieses Projekt darf nicht realisiert werden.

Hat sich das Verhältnis zwischen den Juden und der katholischen Kirche in den letzten Jahren verbessert?

Es ist in den letzten Jahren konstant gut geblieben. Wir haben seit Jahrzehnten keine Probleme mehr mit der katholischen Kirche in Deutschland. Wenn ich von der katholischen Kirche spreche, meine ich die obere Ebene. Da gibt es regelmäßige Zusammenkünfte. Die katholische Kirche versucht auch nicht, uns zu missionieren, das gab es nur vom Evangelischen Missionswerk.

Im Jahre 1987 gab es einen Streit, weil der Papst die zu den Karmeliterinnen konvertierte Jüdin Edith Stein seligsprach. Jetzt gibt es eine innerkirchliche Auseinandersetzung, daß mit der Seligsprechung von Bernhard Lichtenberg der Vatikan sich um eine Auseindersetzung über die Rolle der Kirche im Nationalsozialismus drückt.

Nein! Wir haben nicht gegen die Seligsprechung von Edith Stein protestiert. Das kann man doch nicht machen gegen jemanden, der in Auschwitz umgebracht wurde. Wir haben nur gemeint, daß hier von der katholischen Kirche eine Jüdin vereinnahmt wurde, denn nach dem jüdischen Religionsgesetz gibt es keinen Austritt aus dem Judentum und ebenfalls keinen Übertritt. Das hat aber mit Lichtenberg überhaupt nichts zu tun. Lichtenberg hat auch den Juden geholfen und hat sich große Verdienste erworben. Und was die Diskussion angeht: Ich kann doch nicht sagen, daß man Lichtenberg nicht seligsprechen soll, weil andere Katholiken vielleicht Sünden begangen haben. Das wäre doch Unsinn.

Finden Sie, daß die Amtskirche ehrlich mit ihrer Rolle im Nationalsozialismus umgeht? Die Evangelische Kirche hat immerhin offiziell ein Schuldbekenntnis abgelegt?

„Offiziell“ ist falsch. Ähnliches gibt es aber auch von der katholischen Kirche. In dem Text, der die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Staat Israel und dem Heiligen Stuhl regelt, gibt es einige Präambeln, in denen von einem gemeinsamen Kampf gegen den Antisemitismus die Rede ist. In ihnen wird auch die Schuld der Kirche im Nationalsozialismus angesprochen.

Der Vatikan drückt sich also nicht um die Thematisierung seiner Rolle im Dritten Reich?

Da gibt es noch viel zu tun. Genauso müßte der Vatikan sich damit beschäftigen, daß er nach dem Krieg vielen Nazis zur Flucht nach Argentinien verholfen hat. Das ist ein dunkler Punkt, aber er wird sich dabei immer auf den Grundsatz der christlichen Nächstenliebe berufen. Ich werde dieses Thema aber nicht von mir aus anschneiden.

Wie gefällt Ihnen der Papst? Finden Sie ihn sympathisch?

... (lacht) ... Ich bin so selten mit ihm zusammen, zum dritten Mal insgesamt und zum ersten Mal als Vorsitzender des Zentralrats. Er ist durchaus sympathisch, wenn auch sehr konservativ. Aber immerhin ist er der erste Papst, der jemals eine Synagoge betreten hat. Das war vor acht oder zehn Jahren. Ich wünsche ihm ein langes Leben, 120 Jahre, wie es jüdischer Brauch ist. Das Gespräch führte Anita Kugler