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■ Auf Tempomacher warten wichtige AufgabenSwush! In Nullkommanichts!

Es ist in letzter Zeit ja viel die Rede davon, daß wir in einer Art Hochgeschwindigkeitszeitalter leben. Man denke nur an die Mikrowelle. Keine zwei Minuten braucht man eine Tomate der gepfefferten Bestrahlung auszusetzen, und – pfaff! – schon hat man eine Riesenschweinerei angerichtet. Auch ist man seit der Erfindung von Tekkno dazu übergegangen, die Qualität von Musik in beats per minute zu messen.

Der größte Coup der Zukunftsarchitekten indessen soll in ein paar schnurgeraden Tunnels bestehen, die sie durch den bundesrepublikanischen Untergrund zu treiben gedenken. Ist die Buddelei beendet, dann wird man sich – swush! – in Nullkommanichts durch die Röhre von Berlin nach Saarbrücken schießen lassen können.

Wer aber, frage ich mich, kümmert sich um die Beschleunigung der wirklich wichtigen Dinge? Was ich damit sagen will, ist, daß ich die Strecke Berlin-Saarbrücken wohl in meinem ganzen Leben nicht im Kanonenkugeltempo zurückzulegen begehren werde. Tagtäglich aber treffe ich auf meinen Wohngenossen Arnold, und dem scheint noch niemand verklickert zu haben, daß wir in der Epoche der weltumspannenden Beschleunigung leben.

Wenn er des Morgens zum Brötchenholen aufbricht, habe ich garantiert schon die Kante unseres Küchentisches angenagt, bis er von seiner Expedition zurückkehrt. Ich weiß nicht, wie er es schafft, auf zweimal zweihundert Metern eine geschlagene dreiviertel Stunde zu vertrödeln – aber er schafft es. Wenn Arnold sich bereit erklärt, die Kartoffeln fürs Abendessen zu schälen, dann muß man eine Zeitspanne einkalkulieren, die ein durchschnittlich Begabter zur Versorgung einer ganzen Fußballmannschaft benötigt; und wenn er sich den Besen schnappt, um unseren Balkon zu fegen, dann frage ich mich noch heute manchmal, ob sich der Anbau unbemerkt auf Marktplatzgröße ausgedehnt hat.

Ganz ähnlich steht es um die Beschleunigung des Zahnarztbesuches, nämlich: erschreckend schlecht. „Bitte, lieber Gott, wenn es dich gibt, dann mach, daß es schnell vorbei geht!“, murmelt man stoßgebetsartig in Richtung Zimmerdecke, während man der Sprechstundenhilfe zaghaft lächelnd die Krankenkassenscheckkarte überreicht. Doch wieder gilt es, sich eine endlose Stunde lang mit dem Durchblättern diverser Fachpublikationen zur Erforschung des europäischen Hochadels bei Bewußtsein zu halten. Wieder muß man sich von dem durch die Flure pfeifenden „Iiiijiijiih“ jeden Nerv einzeln zersägen lassen. Und wieder ächzt man später eine schiere Ewigkeit unter dem erbarmungslosen Marterinstrument.

Wo immer eine brandwichtige Aufgabe auf einen Tempomacher wartet, bietet sich dasselbe Bild. Hätte irgendjemand davon gehört, daß man mit der Beschleunigung des Hemdenbügelns auch nur einen Schritt vorangekommen wäre? Daß man sich an die Entwicklung des Hochgeschwindigkeitspostbeamten gemacht hätte oder die Herstellungsdauer einer Pizza Margherita – sogar ohne Oliven – in Giovannis „Italia-Stuben“ unter die magische 50 Minuten- Marke gedrückt werden konnte? Daß der FC St. Pauli plötzlich mit Blitzangriffen brilliert oder die Geburtstagsfeiern bei der Erbtante Augusta mal eine halbe Stunde eher in die Zielgerade gehen würden? Pustekuchen!

Statt dessen hat man Computer entwickelt, die den Damen und Herren Bankangestellten in Windeseile anzeigen, in welch atemberaubendem Ausmaß man sein Konto bereits überzogen hat. Und das nennt die Menschheit dann Fortschritt! Joachim Schulz

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