„Jelzin hat den Sieg noch nicht in der Tasche“

■ Interview mit Viktor Schejnis, Abgeordneter der liberalen Jabloko-Fraktion in der Duma

taz: Die dritte Kraft, eine Koalition zwischen Jawlinkski, Lebed und Fjodorow vor der Wahl, ist nicht zustande gekommen. Eine Zusammenarbeit mit Jelzin auch nicht. Jetzt, mit sieben Prozent, steht Jawlinski im Abseits. Hat sich Ihr Chef mit seiner Wahlkampfstrategie verkalkuliert?

Schejnis: Unser Ergebnis ist besser, als wir erwartet haben. Im Vergleich zu den Dezemberwahlen haben wir 700.000 Stimmen mehr erhalten. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, auf eine Koalition zu setzen. Daß diese Koalition nicht zustande gekommen ist, liegt auch daran, daß sich die Wählerschaft von Lebed und Jawlinski stark unterscheidet. Was eine Zusammenarbeit mit Jelzin vor dem ersten Wahlgang angeht, kann ich nur sagen: Jawlinski hat seine Bedingungen formuliert, Jelzin hat darauf nicht reagiert.

Jelzin hat Lebed zum Chef des Sicherheitsdienstes ernannt. Wird mit diesem Schritt seine Rechnung aufgehen, auch dessen Wähler hinter sich zu bringen?

Auf keinen Fall. Aufgrund unserer Daten läßt sich sagen, daß Lebeds Wähler genauso weit von Sjuganow wie von Jelzin entfernt sind. Die Stimmen, die Lebed erhalten hat, sind nur zu ungefähr vier Prozent direkte Stimmen für ihn. Die anderen hat er von den Anhängern Fjodorows und aus dem nationalistischen Lager erhalten. Ein Drittel von Lebeds Wählern wird sicherlich für Jelzin stimmen. Ein Viertel für Sjuganow, der Rest wird gegen beide Kandidaten stimmen oder gar nicht erst zur Wahl gehen. Jelzin hat also den Sieg bei den Stichwahlen noch lange nicht in der Tasche. Deshalb wäre der Präsident gut beraten, einen Dialog mit Jawlinski zu beginnen.

Der Menschenrechtler Sergej Kowaljow hat die Verbindung Lebed – Jelzin als Gefahr für Rußland bezeichnet.

Für diese Behauptung hat Kowaljow gute Gründe. Lebed hat, ungeachtet seiner Verdienste, bislang nur wenig politische Erfahrung. Sein militärischer Hintergrund könnte ihn dazu verleiten, die schwierigen Probleme Rußlands mit autoritären Methoden zu lösen. Doch für genaue Voraussagen ist es noch zu früh.

Jawlinski hat sich bereit erklärt, unter bestimmten Voraussetzungen in der Regierung mitzuarbeiten. So hat er zum Beispiel Veränderungen in der Wirtschaftspolitik gefordert. Kann er überhaupt noch Forderungen stellen?

Wir haben jetzt eine starke Verhandlungsposition. Denn gerade die Stimmen unserer Anhänger können beim zweiten Wahlgang den Ausschlag geben. Diese Situation könnte man in gewisser Weise mit der der FDP in Deutschland vergleichen. Wenn Jelzin die Situation realistisch einschätzt, muß er an einem Dialog mit Jawlinski interessiert sein. Interview: Barbara Oertel