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Neues aus dem Jahre 9

■ Neu im Kino: „Die Hermannsschlacht“

In Detmold ist seit dem Jahre 9 nichts mehr los gewesen, sagt Co-Regisseur Stefan Mischer, also blieb den fünf Filmemachern aus dem Teutoburgischen gar nichts anderes übrig, als sich größenwahnsinnig am Sandalen-Genre zu probieren – die „Hermannsschlacht“ entstand, für ganze 70.000 Mark und mit über 300 Komparsen. Worüber sich nicht nur Grabbe und Kleist ausgelassen haben, den legendären Kampf zwischen den römischen Legionen unter Quintilius Varus und den wilden Cheruskern, angeführt von Hermann, haben die Fünf wiederauferstehen lassen, an Originalschauplätzen, mit selbstgebastelten Schilden, Speeren und Kostümen. Kann das gutgehen? Es kann, denn die fünf Jung-Regisseure, die für die Produktion ihr Erspartes zusammengelegt und auf öffentliche Förderung einfach verzichtet haben, wollen mehr als Trash. Wann wurde das letzte Mal so ausgiebig Latein (mit deutschen Untertiteln) im Kino gesprochen? Die Römer tun's, während die Cherusker in hochdeutschen bis sächsischen Zungen reden. „Memento mori!“ ruft ein Legionär dem Gegner im Kampf zu; doch der muß passen: „Ich kann kein Latein“.

Der alte Lateinlehrer der Filmemacher schon, der die Repliken der Römer – vom staatsmännisch-tiefgründigen bis zum small talk im römischen Dampfbad – ins Lateinische übertrug. Ambition und Persiflage heißt das Rezept der „Hermannschlacht“, deren Gag-Reservoir teils dazu dient, die Filmemacher selbst zu erheitern, teils dazu, Geschichte zu rekonstruieren. Und für Zeitsprünge eignet sich das Medium Film vorzüglich. Bald befinden wir uns in der Schankstube, wo Grabbe – unter regelmäßigem Schnapsnachschub – seine „Hermannschlacht“ zu Papier bringt, bald am Berliner Wannsee, wo Heinrich von Kleist an seinem Dramenfragment gleichen Namens bastelt.

Stefan Mischer, der mit geweihgeschmücktem Helm selbst den Hermann gibt, sieht die zentrale Schlachtenszene als „pädagogisches Experiment“. Alle möglichen Komparsen habe man in den Wald gefahren, kostümiert, ihnen Schwerter in die Hand gedrückt. Nun schlagt euch mal. Einen Verletzten gab es zu beklagen, und nach der Schlacht neue soziologische Erkenntnisse: die Akademiker unter den Komparsen waren viel zäher als die ebenfalls angeheuerten Motorradrocker. Und wollten gar nicht mehr aufhören, sich zu metzeln.

Nicht unerwähnt bleiben sollen die ausgiebigen Sequenzen in den Thermen, dem Ort für Ränke und Mißgunst, wo der Karrierist Quintilius Varus (Hartmut Neuber vom Deutschen Theater, Berlin, einer der wenigen Profis zwischen vielen Laiendarstellern) erst auf die Idee kommt, Germanien zu unterwerfen. Seine Expansionsgelüste prallen ab an den fetten Bäuchen der anderen, wunderbar überzeichneten Badegäste. Ein Cäsar-Wort erfüllt sich: Laßt Dicke um mich sein, die Dünnen brauche ich zum Kriegführen!

Und auch bei Hermann in der Siedlung und am Thingplatz geht's so gut wie authentisch zu: Liebe im Heu, wo Thusnelda („Tussi“), Hermanns Frau, den Ton angibt und ihm im übrigen auch nahelegt, sich gegen die Römer zu wehren, wozu Hermann gar keine Lust hat. Auf dem Thingplatz hält er dann trotzdem eine halbwegs flammende Ansprache an seine Leute, die „meistens begeistert“ davon seien. Die Cherusker sind, wie bei Massenszenen bei Jung- und No Budgetfilmern üblich, alle in der Altersgruppe der Filmemacher, um die 30. Aber auch dafür hat der gelernte Kunsthistoriker Stefan Mischer eine Erklärung: „Damals wurden die meistens nicht älter.“

Alexander Musik

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