: Kunst, Kult, Verweigerung
■ Die neue deutsche Comicszene: Es gibt ein Leben jenseits der Großverlage
Schöne bunte Comicwelt: Vor kurzem wurde der Carlsen-Comic- Katalog in Form einer CD-ROM ausgliefert. Doch so richtig mag keine Freude aufkommen. Denn neben den verdienstvollen, weil unrentablen, Klassikerausgaben (gerade ist der sechste und letzte Band von Flash Gordon herausgekommen) scheint es nur noch vertraute Markennamen zu geben. Neben langjährigen Bekannten wie Tim und Struppi dominieren nun Merchandising-Produkte: Raumschiff Enterprise und Star Wars. Die Zukunft kann so langweilig sein.
Nachdem einige Jahre durchaus regelmäßig deutsche und europäische ComicautorInnen eine Chance in diesem Großverlag bekamen, soll es diesmal in der Lektoratskonferenz darum gegangen sein, von welchem deutschen Autor in diesem Jahr ein (!) Album herausgebracht wird. Der Hype des Comics, der in den Achtzigern begann, scheint zu Ende zu gehen. Vor allem die Hochglanzfassade Album mit Vierfarbendruck und festem Einband – das Objekt der Begierde eines jeglichen Comicfetischisten – beherrscht nicht mehr unumschränkt den Markt.
Aber vielleicht lichtet sich auch nur das Feld. Bestehen bleiben traditionelle Bereiche wie Funnies, Pornos, Abenteuergeschichten oder Science Fiction. Die Comicmajors Carlson und Ehapa sind endgültig so konservativ wie ihre treuesten KäuferInnen. Schließlich können sie sich auf ihre SammlerInnen verlassen, die geradezu sklavisch noch jede Zusammenstellung kaufen, um nur ja der Vollständigkeit zu huldigen.
Die konservativen Achtziger Jahre waren gekennzeichnet von der Anstrengung, dem Comic die Weihen der Kunst zu verleihen. Der Kult um die Originalzeichnungen wurde stärker, Künstlerlegenden entstanden, kindliche Leseerlebnisse wurden zu Hochkunstereignissen stilisiert (also wurden auch in dieser Kunst „Autoren“ entdeckt wie Carl Barks). Ein eigentümliches sprachliches Gemisch aus Liebhaberemphase und Feuilletonfloskeln entstand dabei.
Widerstand gegen die Auratisierung
Allerdings gibt es längst ComiczeichnerInnen, die sich über solche Entwicklungen lustig machen. Joe Matt etwa, der in Peepshow (Drawn and Quarterly) den männlichen Comicfan als raffgierigen, pubertierenden, körperlosen Gesellen zeichnet. Oder Markuss Golschinski, der in seinem neuen KRMKRM (Reprodukt) gegen die Comicausstellungen polemisiert: „Zunächst tut man alles, um möglichst alle Spuren der Arbeit zu tilgen, kratzt und klebt und weißt auf den Seiten rum. Und dann plötzlich ist es toll, diese Seiten auszustellen.“ Der Comic scheint sein Widerstandspotential gegen die Auratisierung nicht verloren zu haben. Beim Comic ist das Original eine Schimäre.
Anders als in den USA haben hierzulande Superheldenverlage wie Marvel, Image und DC nicht ein Quasi-Monopol. In den Neunzigern haben die Majors Carlsen und Ehapa/Feest ihre marktbeherrschende Rolle verloren, heute dominieren sie nur noch die Bahnhofsläden. Das Angebot ungewöhnlicher Comics ist heute größer als in den Achtzigern. Amerikanische UndergroundautorInnen werden zügig übersetzt und bekommen sogar kleine Reihen. Kleine Verlage wie Tilsner („Bitchy Bitch“), Reprodukt („Love and Rockets/Dirty Plotte“) und Jochen Enterprises („Grit Bath“) sind hier Vorreiter.
Zwar kann kaum einem Auslieferungstermin Glauben geschenkt werden, dafür aber können auch deutsche LeserInnen sich ein Bild machen über die letzte große Bewegung in Nordamerika: den autobiographischen (confessional) Comic. Mit den Heften von Andreas Michalke/Minou Zaribaf und Markuss Golschinski hat sich schon eine deutsche Sektion dieser Entwicklung etabliert (wenn nur die Autoren nicht ihr Geld an der Buchrutsche bei Libri verdienen müßten und endlich regelmäßig neue Hefte herausbringen könnten). Andere Verlage wie Edition Moderne oder Edition der Comics betreuen seit Jahren europäische Comicautoren wie Tardi oder Mattoti, ohne daß die zuweilen sehr teuren Alben allerdings immer Gewinn abwerfen würden.
Wiedergefundene Kindlichkeit
Bei der Zusammensetzung der deutschsprachigen Comicszene erstaunt die Anzahl von immerhin 7 Comicmagazinen, darunter so wichtige wie „Strapazin“ (mit aufwendigen deutschen Erstveröffentlichungen), „Schnauze“ (mit großen Interviews) und das strikt analytische „Reddition“, auch wenn hier zuweilen die Dinge zu ernst genommen werden, so zum Beispiel Heft Nr. 21 mit einer ungewollt komischen Würdigung von Peyo (Schlümpfe).
Comicfantum hat oft etwas ungewollt Komisches. Vielleicht kommt das daher, daß die Initiation in dieses Medium meist früh erfolgt und das Verhältnis zum Comic nie ganz seine kindlichen Züge verliert. Adorno hätte, wenn er nicht schon damit beschäftigt gewesen wäre, über den Jazz herzuziehen, im Comic ein gleichermaßen geeignetes Feld für oberlehrerhafte Abqualifizierungen gefunden: Sammlerwut, detailversessenes Spezialwissen, Unterhaltungsgier.
Was tun? Erwachsen werden? Aber Legitimationsstrategien wie ein „Kunst-Wollen“ der ComicautorInnen verfangen nicht. Comics sind immer noch ein vulgäres und hybrides Medium. Das Interessante an diesem Medium ist nicht seine Eingliederung als neunte Kunst in den Kanon, sondern die Weise, in der sich viele Comics solchen Aufwertungsversuchen immer wieder zu verschließen vermögen. Der Impuls dazu ist zumeist nicht klar formulierbar.
Für die Popmusik hat der Konzeptkünstler und Kritiker Dan Graham den Begriff der „Klasse Jugend“ definiert. Die für sie typischen Strategien Verweigerung, Umdefinition und Spott findet man auch in der Comicszene. Und solange Adornoadepten, wohlwollende Erziehungsberechtigte und WalddorflehrerInnen mit dem Comic Probleme haben, solange ist noch nicht alles verloren. Martin Zeyn
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