200.000 beim schwul-lesbischen Straßenfest

■ Höhepunkt mit Domenica als Gegenpäpstin stieß auf geringes Interesse. 2.000 auf der Anti-Papst-Demo. Autonome outen sich als Christen: „Gott ist mit der Antifa“

Nicht der Papstbesuch, sondern das lesbisch-schwule Straßenfest rund um den Nollendorfplatz war das Ereignis am Wochenende. Mehr als 200.000 Besucher hat der Organisator, die Schwuleninitiative Mann-O-Meter, auf jenem Fest gezählt, das seit vier Jahren eine Woche vor dem Christopher Street Day steigt – dem weltweiten Feiertag der Schwulen und Lesben. Besonders an den Abenden der dreitägigen Veranstaltung drängten sich die Massen zwischen rund 250 Essens-, Getränken-, Dienstleistungs- und Polit-Ständen und vor den drei Bühnen.

Schwule Männer waren bei dem Straßenfest, das sich vom Winterfeldtplatz bis zum Nollendorfplatz entlangzog, besonders stark vertreten. Zu den zahlreichen Attraktionen zählte Rüdiger, der Klaus an der Hundekette durch die Menschenmenge führte. Das Paar trug auf der Haut nichts als schwarzes Leder und zählt sich zur sadomasochistischen Szene. „Heute bin ich eher sado drauf“, erklärte Rüdiger, warum er Klaus an der Leine führe und nicht umgekehrt.

Die politisch interessierten Schwulen und Lesben stellten ihre Projkete an rund 80 Ständen vor. Mit einer Tombola hofften die Veranstalter, Geld für Altenhilfe, Aidshospize, ein Notruftelefon und den „Gay Teddy“ zu sammeln. Die Lotterie wurde unter anderem von dem Chemiekonzern Hoffmann La Roche und der Zigarettenmarke Roth Händle gesponsert. Der Höhepunkt des Festes sollte am Sonntag nachmittag die Ausrufung der Hamburger Edelhure Domenica zur Gegenpäpstin sein. Die Hanseatin schritt in einem weißen, hochgeschlossenen Papstgewand auf die Bühne und sprach Charlotte von Mahlsdorf, Transvestit im Rentenalter, heilig. Domenica verlangte „Kondome statt Dome“ und beendete ihre Rede mit den Worten „Samen statt Amen“.

Das Happening war mit 300 Neugierigen auffallend schlecht besucht. Der Vorsitzende der Berliner Aidshilfe, Bernhard Bienieck, dankte für „Domenicas Unterstützung beim Kampf der Entrechteten“. Unter einem Baldachin zog Domenica zum Stand der Aidshilfe, um dort von einem Beichtstuhl aus den Sündigern Absolution zu erteilen. Die angebliche ehemalige Nonne forderte in ihren selbstverfaßten Zehn Geboten u. a.: „Du sollst dir deine Lebensfreude nicht stehlen lassen durch falsche Schuldgefühle“.

Domenica war allerdings nicht die einzige Gegenpäpstin des gestrigen Tages. Wenige hundert Meter vom Straßenfest entfernt ließ sich parallel die lesbische Afroamerikanerin Joy Anna II. ausrufen. Unter lauten Hallelujah- Rufen von etwa 2.000 „Gläubigen“ forderte sie freien und unentgeltlichen Zugang zu Kondomen.

In einem dem Papstgefährt nachempfundenen Mama-Mobil führte sie dann die Multiple- choice-Demo „Viele Fäuste für ein Hallelujah“ an. Unter dem Banner des antiklerikalen Protests hatten sich alle möglichen Gruppen versammelt, um mit einem „lustvollen Sündenpfuhl-Spektakel“ zu demonstrieren. Der bunte Zug verband den Protest gegen die Sexualmoral des Vatikans mit dem Bedürfnis, zu tanzen und auf diverse politische Anliegen aufmerksam zu machen.

Vetreten waren alle, die in der linken Szene Rang und Namen haben. Der „Radikal-Rave-Wagen“ widmete sich der Solidarität mit den untergetauchten Redakteuren der verbotenen radikal und zog mit lauter Technomusik Scharen von Tanzwütigen an. An das eigentliche Anliegen erinnerte ein umgedrehter Jesus am Wagenheck. Eine klösterlich kostümierte Sambagruppe forderte mit Schildern auf den Rücken „Free Tibet!“, und Göttinger Autonome machten unter dem Motto „Gott ist mit der Antifa“ auf die Kriminalisierung ihres Tuns aufmerksam. Stephanie v. Oppen/Tobias Rapp