Mehr Kasperl als Könner

Nach dem 2:1 über Kroatien machen sich die Deutschen nun auf den Weg nach Wembley  ■ Aus Manchester Peter Unfried

Manchester (taz) – Europa, zumindest aber die Briten werden nun wieder kommen und sagen: Typisch, diese Deutschen! Unauffällig bis bescheiden spielen, aber Kroatien 2:1 schlagen. Es war gestern in Old Trafford tatsächlich auch nicht nur annähernd ein befriedigendes Spiel. Es sei denn, man hat es gewonnen.

Die Kroaten schienen lange bereit, den deutschen Mythos Lügen zu strafen. Doch als es darauf angekommen wäre, schalteten sie sich selbst aus: Stimac flog vom Platz, Suker nutzte zwei große Kopfballchancen nicht. So sind mal wieder die Deutschen noch gestern nacht nach London gereist, wo sie am Mittwoch in Wembley im allseits ersehnten Halbfinale auf England treffen. Zu verdanken haben sie es Matthias Sammer, der inmitten paralysierter Offensivkräfte die Initiative ergriff und den 2:1-Siegtreffer schoß.

Jürgen Klinsmanns Motto war klar: „Da geht's voll drauf“, hatte der Kapitän gesagt und nach Spielbeginn umgehend gegen Vlaovic nachgetreten. Er entkam aber genauso mit Gelb wie der Kroate Slaven Bilic, der kurz vor der Pause auf den am Boden liegenden Ziege trat. Der Sinn der Sache: Es ging, wie Klinsmann gesagt hatte, darum, „wer wem den Schneid abkaufen“ würde. Es deutete sich früh an, daß es die Deutschen nicht waren.

Es addierten sich nämlich Aktionen, aus den die Kroaten psychologisch gestärkt, die Deutschen aber eher als Kasperl hervorgingen. Möller merkte bei diesen Gelegenheiten früh, daß dies nicht sein Spiel werden würde. Blieb Scholl, den Vogts für Thomas Häßler („liest Zeitungen, wenn er es nicht tun sollte“) ins Team genommen hatten. Doch auch der Münchner vermochte das Spiel nicht zu inspirieren.

Daß die Deutschen zur Halbzeit dennoch 1:0 führten, lag daran, daß Kroatiens Abwehrorganisator Jerkan seine Hand nicht zu kontrollieren vermochte, als sich Sammer näherte. Es war ein Blackout, den Klinsmann aus elf Metern nutzte (21.).

Die Ordnung blieb immer fragil, und das lag auch daran, daß Thomas Helmer zwar mit Mühe „fitgemacht“ worden war, sich aber alles andere als fit gefühlt haben dürfte. Nach Sukers Haken kam er nicht mehr mit und ließ ihn auflaufen (31.) — Leif Sundell aber reagierte nicht. Ohne Klinsmann, der nach 37 Minuten einen Muskelfaserriß erlitt und bei dieser EM nicht mehr spielen kann, schienen die Deutschen sich zügig in eine Niederlage einzufinden. Es war der für den Kapitän gekommene Freund, der ein Zuspiel von Sammer an Jurcevic vertrödelte, was Suker erlaubte in aller Nonchalance Köpke auszuspielen und zum 1:1 einzuschieben (51.).

Da schien alles für die Kroaten zu laufen. Dann aber kam der Platzverweis von Stimac (57.). Es war ein psychologischer Knick, und kein Zufall, daß Sammer ihn ausnutzte. Babbel hatte sich rechts etwas ungestüm durchgesetzt, Sammer wand sich vor dem Fünfmeterraum um den fehleranfälligen Jerkan und traf zum 2:1. Das Spiel war nunmehr gelaufen. Mehmet Scholl hätte es allerdings früher entscheiden können, als er Kuntz' Flanke frei am langen Pfosten vorbei setzte.

Kroatien: Ladic - Jerkan - Stimac, Bilic - Stanic, Jurcevic (78. Mladenovic), Boban, Asanovic, Jarni - Vlaovic, Suker

Zuschauer: 43.000

Tore: 1:0 Klinsmann (21./Handelfmeter), 1:1 Suker (51.), 2:1 Sammer (59.)

Gelb-Rot: Stimac (57.) wegen Foulspiel

Deutschland: Köpke - Sammer - Babbel - Reuter, Eilts, Helmer, Ziege - Scholl (88. Häßler), Möller - Klinsmann (39. Freund), Bobic (46. Kuntz)