Allerweltskausalität

■ „Jung und Böse“, ein Film über „Gesichter der Gewalt“, West 3, 23 Uhr

Dokumentarfilme über Gewalt haben Konjunktur. Sich heftig authentisch gerierend zieht die Kamera mit, selbst wenn's weh tut: Unscharfe Bilder, kaum Schnitte und möglichst wenig Off-Kommentar. Ulrich Leinweber hat so einen Film gemacht. Über gelangweilte Jugendliche und deren Lust an der Gewalt. Skins, Hooligans und Stinknormale. Keine Arbeitslosen, sondern Schüler, Lehrlinge und Studenten. Ein schwieriges Sujet, wenn man nicht alte Klischees wiederholen will. Es ist Leinweber hoch anzurechnen, daß er sich seinen Protagonisten mit vorbehaltloser Neugier genähert hat. Sie so lange reden läßt, bis hinter der dumpfen Suche nach dem Thrill, die endlose Leere ihres Alltags durchblitzt. „Wenn ich blöd angemacht werde, will ich wissen, wer der Bessere ist.“ Statt einfache Antworten zu geben, sucht Leinweber die Herkunft der Gewaltbereitschaft in der sozialen DNA. Diese Jugend ist nicht schlechter als alle anderen, so die Aussage.

Belegt wird derart Generelles allerdings mit zweifelhaften Rückschlüssen: „Die Großeltern erzählen ihnen vom Krieg – nun sind sie an der Reihe.“ Später haut eine Gruppe Jugendlicher einen geklauten Wagen zu Klump. Kommentar: „Während Eltern ins Spaßbad gehen oder Abenteuerurlaub machen, suchen sich ihre Kinder den Kick anderswo und billig.“ Zu dieser Allerweltkausalität trommelt es irgendwie modern im Hintergrund – die Lust am Zuschlagen als Teil der Popkultur.

Weil die Kamera nicht immer dabeisein kann, dreschen Leinwebers Interviewpartner auf einen Sandsack ein. Die Antworten kommen atemlos-gepreßt. Doch was den Ausdruck der Gefühle dokumentieren soll, verhindert Reflexion. Präsentiert wird die Pose, nicht deren Herkunft. Oliver Gehrs