"Wir brauchen eine Dynamik des Positiven"

■ Wie geht es weiter an den Unis? Professor Peter Grottian schlägt ein Spar-Moratorium via Gehaltsverzicht von ProfessorInnen vor. Mit ihm diskutierten Alexandra Schmidt (Asta TU), Jochen Geppert (K

taz: Berlin hat eine Attraktion weniger: Es fehlen die phantasievollen Aktionen der Studierenden. Konzentriert sich die Bewegung jetzt auf den Boykott der Immatrikulationsgebühr von 100 Mark?

Jana Schütze: Für den 8. Juli ist an der Humboldt-Universität ein Aktionstag zu den Haushaltskürzungen angesetzt. Anlaß: Die Rektorenkonferenz, die an diesem Tag über Studiengebühren berät.

Alexandra Schmidt: An der Technischen Universität konzentrieren sich die Leute jetzt ebenfalls auf diesen Boykott. Da geht unheimlich viel Energie rein.

Jochen Geppert: Wir haben gute juristische Chancen, denn laut Rechtsgutachten der GEW sind diese Gebühren rechtswidrig, weil sie keinen bei diesem Verwaltungsakt entstehenden Kosten entsprechen, sondern das Haushaltsloch stopfen helfen sollen.

Warum steht jetzt der Boykott im Mittelpunkt aller Aktivitäten?

Jochen Geppert: CDU-Wissenschaftssenator Radunski hat selbst gesagt, daß diese Immatrikulationsgebühr ein Einstieg in die Studiengebühren ist. Deshalb ist das jetzt die zentrale Auseinandersetzung.

Wenn man das gekippt oder auf 20 Mark reduziert kriegt, hat man was gewonnen. Denn der Einstieg in die Studiengebühren trifft alle Studierenden, und zwar bundesweit. 1.000 Mark pro Semester – für Ärmere wird damit ein Studium unmöglich.

Peter Grottian: Beim gegenwärtigen Stand der Dinge kann man die Studierenden nur aufrufen, sich am Boykott zu beteiligen. Sie sollen zu Scheinfinanziers der Universitäten gemacht werden. Ich denke bloß, man darf dabei nicht stehenbleiben, man muß mit dem Senat verhandeln.

Es geht darum, die im Herbst anstehende nächste massive Kürzungswelle mit einem Gesamtvolumen von 40 Millionen in ein Moratorium umzuwandeln.

Welche Auswirkungen hätten diese neuen Kürzungen?

Peter Grottian: Manche Fachbereiche hätten damit einen existenziellen Schwund des Mittelbaus und der Tutorien. Ein C4-Professor wird im Haushaltsplan pro Jahr mit 133.000 Mark angesetzt.

Es gibt an den Berliner Unis 13.000 gut bis sehr gut verdienende Menschen in Wissenschaft und Verwaltung. Wenn diese kollektiven Gehaltsverzicht üben, hätten wir die Sparwelle abgewehrt und zusätzlich 61 Millionen Mark für das Dringendste.

Das alles müßte zwischen Studierenden, Unipräsidenten, ÖTV, DAG und den Senatoren Radunski, Schönbohm und Fugmann- Heesing ausgehandelt werden. Die Rechtsgrundlage dafür wäre der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, der so etwas in Notsituationen zuläßt.

Und was sagen die Gewerkschaften dazu?

Peter Grottian: Deren berechtigter Einwand lautet: Man muß sicher sein, daß ein solcher Aushandlungsprozeß nicht zum Einsparen benutzt wird. Die umverteilten Gelder dürfen auf keinen Fall das Sparloch stopfen. Richtig. Aber: Im Berliner Haushalt sind die Personalkosten mit insgesamt 15 Milliarden Mark der dickste Brocken.

Mit anderen Worten: Wir privilegierten Hochschullehrer sind zum Teil selbst das Problem dafür, daß die Unis keinen Handlungsspielraum mehr haben.

Ein sympathischer Vorschlag, aber warum sollten die Privilegienträger da mitmachen?

Peter Grottian: Die Studierenden müßten natürlich heftig Druck auf die Professoren ausüben, mit dieser Form der Umverteilung ihre eigenen Lehrbedingungen zu verbessern.

Die Frage ist, ob sie sich ungeachtet ihrer Maximalforderung, den Haushalt zu Lasten der Reichen und zugunsten der Universitäten umzuverteilen, pragmatisch auf solch ein Modell einlassen würden.

Es ist einfach unrealistisch zu glauben, man könne den Transrapid und die Kanzler-U-Bahn verhindern und diese Gelder in die Universitäten stecken.

Jochen Geppert: Ich fände solch ein Angebot von seiten der Professoren sympathisch, aber ich weiß nicht, ob das die richtige strategische Option der Studierenden sein kann.

Die Situation, wie sie sich in Berlin stellt, wird sich in den nächsten Jahren bundesweit stellen. Und deswegen müssen wir verstärkt den gesellschaftlichen Großskandal diskutieren, wieso es in diesem reichen Land, in dem die Vermögenssteuer abgeschafft wird, plötzlich nicht mehr möglich sein soll, die junge Generation auf Hochschulen oder in Lehrstellen anständig auszubilden.

Peter Grottians Modell wäre allerdings ein Mittel, um die Hochschule insgesamt gegenüber der Politik zusammenzuschweißen. Denn derzeit können wir uns auf die Universitätsleitungen wirklich nicht verlassen, von denen kommt keinerlei konzeptionelle Vorstellung, nur Gestammel. Auch von den Professoren kommt rein gar nichts.

Peter Grottian: Eine Zivilgesellschaft, die jeden fünften Jugendlichen zu bildungspolitischem Schrott erklärt, ist keine. Mit dem, was ich vorschlage, könnte man eine gesellschaftliche Grundsatzdebatte mit einer pragmatischen Abwehr der Studiengebühren verbinden.

Und wir könnten und müßten anfangen, an den einzelnen Fachbereichen zu diskutieren: Was ist uns bei unserer Lehre und Forschung wichtig, was weniger, was wollen wir ausbauen, was abbauen?

Jana Schütze: Die inneruniversitäre Umverteilung wäre damit ein Beispiel für gesamtgesellschaftliche Umverteilung. Aber ich fürchte, die Professoren sind dabei das größte Hindernis. Ich sehe diese Solidaritätsbereitschaft nirgendwo in der Gesellschaft.

Peter Grottian: Solidarität gegenüber einem dunklen Sparloch empfindet niemand. Ich glaube aber, wenn es um konkrete Solidarität am eigenen Fachbereich geht, wenn man weiß, der Vertrag der wissenschaftlichen Mitarbeiterin X wird sonst nicht verlängert, obwohl sie eine fähige Frau ist, dann macht man auch Geld locker.

Pro Fachbereich könnten damit vielleicht 30 Tutorien oder drei, vier Stellen im Mittelbau gerettet werden, das ergäbe eine Dynamik des Positiven.

Alexandra Schmidt: Dennoch habe ich immer noch fürchterliche Bauchschmerzen. Das ist zwar ein sehr schönes Modell, aber es ist schrecklich leicht auszunutzen. Die Gefahr ist groß, daß der Senat sagt: Prima, ihr schafft es ja auch so, und wenn wir euch jetzt noch weniger Geld geben, fällt euch bestimmt noch was Neues ein.

Peter Grottian: Das macht mir auch Bauchschmerzen, und ich muß selbstkritisch einräumen, daß das eher ein Atemholen ist. 1998 muß man eine neue Aushandlungsrunde machen.

Aber wenn es bis dahin nicht gelingt, den Wert von Bildung gesamtgesellschaftlich deutlicher zu machen, dann wird der Abräumprozeß sowieso weitergehen.

Jochen Geppert: Die meisten Professoren an der FU sind überhaupt keine politischen Ansprechpartner mehr, sie sind abgetaucht.

Peter Grottian: Meine Hoffnung wäre, daß sie mit einer Mischung aus Fremddruck und Eigeneinsicht mobilisierbar wären. Aber ihr habt sie auch im warmen Sumpf verkommen lassen.

Jochen Geppert: Das stimmt einfach nicht. Wir haben sie getreten, wo wir konnten, aber sie haben sich totgestellt.

Peter Grottian: Ihr habt sie nicht getreten. Ihr habt Diskussionen in den Seminaren geführt, aber die Frage, was das mit ihnen selbst zu tun hat, ausgelassen.

Jochen Geppert: Ich habe das schon versucht. Aber ich habe keinerlei organisierte Gesprächsbereitschaft erlebt.

Organisieren müßtet ihr die schon selbst, da hat Peter Grottian recht. Mit Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen, Gremienarbeit.

Jochen Geppert: Das ist schon richtig. Aber an der TU mit ihrer Reformfraktion ist das vielleicht auch leichter. An der gesamten FU gibt es ungefähr zwei ansprechbare Professoren.

Wo sind denn die 68er? Oder die 89er an der HU?

Jana Schütze: Ich sehe keine.

Peter Grottian: Ich glaube, sie werden einfach nicht gefordert. Die Studierenden verweisen eher auf den Skandal mit der Erbschaftssteuer als auf das Professorengehalt, und die Profs haken sich ein und freuen sich an der gemeinsamen Linie. Es ist einfach kein Thema, daß Personalkosten zu den Privilegien gehören.

Jana Schütze: Es wird immer abstrakt und wissenschaftlich diskutiert, aber nicht konkret über die eigene Person.

Das spricht für Peter Grottians These, daß der universitäre Diskurs ganz schön verrottet und eine Evaluierung der verschiedenen Wissenschaftszweige dringend nötig ist. Aber: Wer bestimmt, was wichtig ist?

Dank einer rechten Mehrheit unter den Professoren wird an der TU derzeit jeder kritische Ansatz weggekürzt. Eine Evaluierung könnte unter den gegebenen Mehrheitsverhältnissen an der Uni die Reste herrschaftskritischer Wissenschaft killen.

Alexandra Schmidt: Das ist genau das Problem. Überall sitzen rechte fette Ärsche – wie sage ich das schriftdeutsch? Die Rechten an der TU freuen sich, daß der Senat die Lehrerbildung kaputtmacht und sie verschont.

Wie man solche Leute gewinnen will, ist mir ein Rätsel. Man kann eigentlich nur die Linken gewinnen, und die werden eh abgewickelt.

Peter Grottian: Das ist ja nun superdefätistisch. Man kann doch nicht sagen: Wir wollen an die Wohlhabenden ran, und dann die Wohlhabenden hinter der eigenen Unitür stehen lassen. Und, bitte: Man darf Professoren nicht überschätzen. Sie sind in ihrer Mehrheit opportunistisch, und sie werden sich ändern, wenn sie Druck spüren.

Natürlich kommt es sehr auf die inneruniversitären Kräfteverhältnisse an, aber auf die politischen Konflikte rund um die Evaluierung würde ich es getrost auch ankommen lassen. Mein Modell hätte dabei den Vorteil, daß die Fachbereiche dezentral, ohne Hineinregieren von Unileitung oder Senat, nach ihren eigenen Bedürfnissen entscheiden, wo sie die Mittel einsetzen.

Wenn ihr die Mittel schon hättet, wo an der Universität würdet ihr sie einsetzen?

Peter Grottian: Der Fachbereich Politische Wissenschaften an der FU ist bundesweit der einzige, der die Geschlechterverhältnisse in der Politikwissenschaft zu einem Studienschwerpunkt erkoren hat. Dafür gibt es jetzt anderthalb Professorenstellen, aber kaum noch Leute im Mittelbau. Mittels Umverteilung könnten wir hier vielleicht zwei, drei neue Stellen schaffen.

Jana Schütze: Die Bibliotheken an der HU haben überhaupt erst angefangen, ihren Bestand nachzurüsten, und jetzt haben wir hier Kürzungen von 35 Prozent. Da kann man die Bibliotheken bald ganz zumachen, weil sie nur noch aus Lücken bestehen.

Anderes Beispiel: Die Verlagerung von Stellen aus dem Sonderprogramm zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen an die HU fällt jetzt unter den Stellenstopp.

Frauen und Geschlechterthemen scheint es stets als erstes zu treffen.

Jochen Geppert: Das sind die Innovationen aus Sonderprogrammen, die es in der Krise immer als erstes trifft.

Ich fasse die kommenden Aufgaben zusammen: Die Studierenden müssen die Immatrikulationsgebühr wegklagen, die inneruniversitäre Umverteilung organisieren, die Evaluierung der Fachbereiche voranbringen, die gesamtgesellschaftliche Umverteilung einklagen und nebenher auch noch studieren.

Jochen Geppert: Es fehlt sogar noch etwas in der Aufzählung: Wir müssen die mit den Gewerkschaften begonnene Debatte über Umverteilung weiterführen. Da ist viel in Bewegung gekommen.

Interview: Ute Scheub