Gottverdammter Profi

■ Gespräch mit Henning Harnisch, der in der kommenden Saison nicht mehr in Leverkusen, sondern in Berlin Basketball spielen wird

taz: Nach acht Jahren im Team von Bayer Leverkusen, sieben Meistertiteln und vier Pokalsiegen wechselst du jetzt ausgerechnet zum Rivalen ALBA Berlin.

Henning Harnisch: Eigentlich stand diese Entscheidung schon vor zwei Jahren zur Debatte. Doch damals habe ich mich aufgrund der sportlichen Perspektiven für Leverkusen entschieden. Bedingt durch die Olympiade und den Gewinn der Europameisterschaft hatte ich die Möglichkeit, ins Ausland zu wechseln oder es in der NBA zu versuchen – es gab Einladungen zu Try-out-Camps. Mein Vertrag lief Ende der Spielzeit 93/94 aus, und ich hatte mir vorgenommen, diese Saison noch zu Ende zu spielen. Dann erlitt ich zwei Bänderrisse im Fußgelenk, und das hat mich stark zurückgeworfen. Mit dem Ergebnis, daß sich meine sportlichen Träume relativierten. Damals war die Frage nur: Leverkusen oder Berlin.

Und weshalb bist du nicht nach Berlin gewechselt?

Zum einen war da die Bindung an meinen Wohnort Köln, verknüpft mit dem Beginn meiner Buchhändlerlehre. Ausschlaggebend war aber vor allem die Affinität zur damaligen Leverkusener Mannschaft. Mein großes Ziel war immer das Erreichen der Play-offs in der Europaliga, also unter die besten acht Teams des Kontinents zu kommen – mit Leverkusen. Und als das Management mir diesen Fünfjahresvertrag anbot, habe ich den unterschrieben – das war eine ganz spontane Entscheidung. Damals schien mir das alles vollkommen in Ordnung zu sein. Und ich hatte wirklich die Idee, mit diesem Vertrag meine Karriere ausklingen zu lassen.

Zwei Jahre ging diese Rentenplanung gut. Was hat jetzt den Ausschlag gegeben?

Im Laufe der letzten Saison habe ich sukzessive gemerkt, wie die Sache in Leverkusen immer kontraproduktiver wurde. Das lag natürlich auch daran, daß sich in der Mannschaft vor allem personell eine ganze Menge geändert hat. Ich habe unsere Ziele gesehen und auch die Philosophie, wie diese zu erreichen seien. Und das führte dann dazu, daß ich in der Mannschaft eine „professionelle“ Rolle eingenommen habe, die besonders von dem Gedanken geprägt war, wie ich der Mannschaft optimal helfen kann. Und genau diese Einstellung führte dazu, daß der wesentliche Charakter meines Spiels, die Leidenschaftlichkeit, zum großen Teil verlorenging.

Gab es Probleme mit dem Trainer?

Nein, das Vertrauensverhältnis zwischen Dirk Bauermann und mir war immer gut. Doch als die Optimierung in Form der besagten Rolle von Spiel zu Spiel realer wurde, bekam ich immer mehr Schwierigkeiten, manche Sachen zu akzeptieren. Ich bin ein unzufriedener Spieler geworden, auch wenn ich zwischenzeitlich dachte: Ich muß da jetzt durch, ich bin ja schließlich ein gottverdammter Profi! Aber irgendwann griff dann wieder diese latente Idee von einem Vereinswechsel Raum. Ich möchte das am liebsten als „normale Verschleißerscheinung“ bezeichnen, wie eben in so vielen jahrelangen Beziehungen.

Du hast auch lukrative Angebote aus dem Ausland gehabt. Warum wechselt man dann nach Berlin?

Es gab tatsächlich ziemlich konkrete Anfragen aus Griechenland: PAOK Saloniki, Olympiakos Piräus und Europaligameister Panathinaikos Athen. Und auch wenn ich weiß, daß das jetzt wie das Aufwärmen des mir immer wieder unterstellten Klischees klingt: Das Geld, das ich bei diesen Vereinen hätte einsacken können, spielte überhaupt keine Rolle.

Verzeihung, aber wenn du dich selbst als „Profi“ titulierst, um was geht es dann?

Um die sportliche Perspektive – für mich jedenfalls. Und die sehe ich in Deutschland nur bei ALBA. Außerdem wollte ich immer auch in der Stadt leben können, in der ich spiele; mich – wenn man das so sagen kann – in die Stadt einbringen. Das schien mir in Griechenland nicht möglich. Ein Wechsel dorthin wäre die Entscheidung für ein montageähnliches Leben gewesen. Es hätte kein Leben neben dem Sport gegeben.

Kann man dieses „neben dem Sport“ etwas konkretisieren?

Ich habe neben dem Sport schließlich auch ein Privatleben, zum Beispiel in Gestalt meines alten Marburger Freundes Lutz, der jetzt in Berlin lebt und sich sicher freut, wenn er seinen Namen in der taz liest. Mit ihm werde ich mal 'ne Molle nehmen, in Clubs und Kneipen gehen. So was halt. Darauf freue ich mich in Berlin.

Das ist genau dieses Harnisch- Klischee: Spaß vor Sport...

Überhaupt nicht, Sport ist das absolut Wichtigste für mich. Ich will noch mal total angreifen (lacht). Gut, klingt ein wenig abgedroschen. Aber im Ernst, ich will neue Möglichkeiten ausloten, zum Beispiel in einem Verlag ein Praktikum beginnen. Denn trotz des Sports sind in der Woche immer noch 15 bis 20 Stunden an „Nebentätigkeiten“ drin. Mein geheimer Wunsch ist es jedoch, eine Radiosendung zu hosten, in der ich meine Lieblingsplatten auflege und gelegentlich Gäste empfange. Einen Titel habe ich auch schon: „Hangin' Out With Henning“. Leider weiß der Sender noch nichts von seinem Glück.

Kommen wir noch mal aufs Sportliche zurück...

Ich freue mich besonders darauf, unter Svetislav Pesic und mit Henrik Rödl, meinem alten Kumpel schon aus D-Jugend-Zeiten in der hessischen Landesauswahl, spielen zu können. Ich komme nach Berlin, um deutscher Meister zu werden und das umzusetzen, was wir mit Leverkusen in der Europaliga leider nicht geschafft haben. Außerdem finde ich gerade dieses junge ALBA-Team extrem spannend...

...in dem du dann sozusagen der Senior bist.

Laß es mich einfach so ausdrücken: Ich will Teil einer Jugendbewegung sein. Interview: Thomas Lötz