■ Türkische Migranten und deutsche Parteien
: Informelles Netz

„Was gut ist für Deutschland, ist gut für uns alle“, sagt Ertugrul Uzun von der Europäischen Vereinigung Türkischer Akademiker (EATA). Musik in konservativen Ohren. Doch weder der gemeinsame nationale Nenner noch die Minderheitenidentität taugen langfristig dazu, die Interessen aller unter einem Dach zu vereinen. Während der ungelernte türkische Jugendliche ein Interesse am Erhalt des Sozialstaates haben wird, wird der türkische Arbeitgeber dem aktuellen Bonner Sparpaket applaudieren. „Imaginäre Gemeinschaften“ tragen über reale materielle Interessen nicht hinweg.

Wie Hakki Keskin, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, es formuliert, „haben türkische Migranten selbstverständlich auch gemeinsame Probleme“ – die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung ist im Interesse aller. So betonen alle Vereinsvorsitzenden, daß sie „unabhängig von ihren politischen Überzeugungen“ alle Landsleute unterstützen wollen, die in deutschen Parteien Karriere machen. Man stellt sich ein informelles Netz von erfolgreichen türkischstämmigen Politikern vor, die alle um gemeinsame Ziele wie doppelte Staatsbürgerschaft, erleichterte Einbürgerungen oder bessere schulische Integration von Kindern kämpfen. Migrantenspezifische Themen werden das künftige Wahlverhalten der Deutsch- Türken bestimmen.

Andererseits schauen viele der neuen Wähler auch auf die ihr altes Heimatland betreffende Politik der deutschen Parteien und Kandidaten. Begleitet von Kampagnen der auflagenstarken türkischen Zeitungen in Deutschland, können Politiker, die sich allzu „negativ“ über die Türkei äußern, mit Stimmenverlusten rechnen. Wie weit ein Wähler auf seine muslimische, kurdische oder andere Identität Wert legt, wird auch eine große Rolle spielen: Vor den letzten Bundestagswahlen verschickten islamistische Organisationen einen Fragebogen an alle deutschen Parteien mit dem Vermerk, „die Muslime würden bei der Wahl ihre Stimme der Partei geben, die ihnen am meisten entgegenkommt“.

Mit Sicherheit läßt sich nur eines voraussagen: Es wird sowenig einen geschlossenen türkischen Wählerblock geben, wie es auch keinen solchen deutschen gibt. Dilek Zaptçioglu