Auch Türken stehen auf Kohl

Die CDU will Neuwähler wie die eingebürgerten Türken nicht mehr links liegenlassen. Und auch viele dieser Neuwähler teilen die konservativen Werte  ■ Von Dilek Zaptçioglu

Die Türken kommen gewaltig – und die CDU freut sich darüber. Deutsche Journalisten waren sehr überrascht, als auf der Medientagung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ankara im Herbst 95 offen über neue Wählerpotentiale für die CDU sinniert wurde. Zehntausende Türken würden sich demnächst in Deutschland einbürgern lassen, hieß es von Seiten CDU- naher Kreise: Diese Neuwähler will die Partei nicht links liegen lassen. Es gelte, „das neue Wählerpotential zu erkennen und danach zu handeln“.

Wer die Inlandsseiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in den darauffolgenden Monaten aufmerksam verfolgte, hat weitere Indizien für die ersten zaghaften Schritte der Konservativen entdeckt, das neue Wahlvolk zu umgarnen. Lange Berichte über die Türken in der CDU und der FDP waren dort zu lesen, ein Vorstandmitglied der Liberalen Türkisch- Deutschen Vereinigung wurde zur beliebten „fremden Feder“. Angesichts der 27.000 Einbürgerungsanträge von Türken allein in Berlin schwärmte auch der sonst im Ton ziemlich staatstragende FAZ-Reporter in höchsten Tönen: „In Berlin könnten demnächst drei bis vier Prozent der Wahlberechtigten Türken sein. Sie könnten die nächste Wahl entscheiden – und zwar... zugunsten der Union.“

Mustafa Çakmakoglu, Vorsitzender der konservativen Türkischen Gemeinde in Berlin und seit einem Jahr Mitglied des CDU- Ortsverbandes Kreuzberg, führt die „gegenüber Ausländern eher zurückhaltende Politik der CDU“ darauf zurück, daß die Christdemokraten bis jetzt nicht glaubten, in „türkischen Mitbürgern“ ein Wählerpotential zu haben. Tatsächlich kamen alle Umfrageergebnisse in den achtziger Jahren zu dem Schluß, daß die Türken, „wenn morgen gewählt würde“, ihre Stimmen der SPD und den Grünen geben wollten.

Die Grünen waren es, die Migranten wie Ismail Hakki Kosan in Berlin oder Cem Özdemir in Bonn zuerst den Weg in die Parlamente ebneten. Das paßte in das Selbstverständnis der Partei und stieß auch unter ihren Wählern auf große Sympathie. Diese beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit: Die Ausländer- und Einwanderungspolitik der Grünen und auch der SPD waren den Minderheiten jeglicher politischer Couleur in Deutschland lange Jahre am sympathischsten.

Aber die neunziger Jahre brachten grundlegende Veränderungen, auch für die inzwischen in Deutschland etablierte türkische Minderheit. Die Grünen und die SPD stiegen auf der Sympathieskala um so mehr ab, je schärfer sie die offizielle Politik Ankaras anprangerten: Die Aussage des niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder, in der Türkei gebe es „Völkermord an den Kurden“, löste eine Welle von Austritten aus der SPD aus, die bis dahin die meisten türkischen Mitglieder hatte.

Die Grünen heimsten sich zusätzliche Minuspunkte ein, als sie gegen die Änderung des Asylparagraphen stimmten – in den Asylbewerbern sahen viele Alteingesessene instinktiv unliebsame Konkurrenz. Doch es gab noch weitere Gründe für das Abwenden der türkischen Wähler von den Grünen: zum Beispiel deren ablehnende Haltung gegen eine Intervention in Bosnien, wo Muslime mit ihrem Schicksal alleingelassen wurden, und gegen das PKK-Verbot in Deutschland. Eine schnelle Abschiebung „krimineller Ausländer“ stieß nicht nur beim deutschen Saubermann auf Zustimmung, sondern auch bei den türkischen Mittelständlern, die um ihre Existenz fürchteten.

Die konservative Grundstimmung vieler Wähler, vor allem der ersten Generation, wird auch von Emine Demirbüken, seit kurzem auch in der Berliner CDU, bestätigt: „Konservative Werte der CDU wie Familiensinn werden geteilt“, sagt sie. Auch Çakmakoglu ist der Ansicht, daß das Wahlverhalten der Türken in Deutschland dem ihrer Landsleute in der Heimat ähneln wird: Dort haben liberale und konservative Parteien seit dem Putsch von 1980 immer eine Zweidrittelmehrheit behalten.

Mit der Entdeckung des Neulandes ist es jedoch noch nicht getan: Die Parteien müssen nun auch geeignete Mittlerpersonen finden, die zwischen ihnen und ihren künftigen Wählern den Kontakt herstellen können. Die Mittler müssen über Einfluß auf Landsleute verfügen. Am Beispiel der CDU in Berlin wird deutlich, daß das gar kein leichtes Unterfangen ist und daß es zu heftiger Konkurrenz unter den Anwärtern kommen kann.

Çakmakoglu gehört dem CDU-Ortsverband Kreuzberg an, wo er schon 50 neue Mitglieder einbrachte, während Demirbüken in Neukölln aktiv ist und im Landesvorstand der Jungen Union arbeitet. Zwischen beiden gibt es bislang keinen Dialog.

Dazu kommt Ertugrul Uzun, Gründer der Europäischen Vereinigung Türkischer Akademiker (EATA), die über gute Kontakte zu den türkischen Konservativen und zu Wirtschaftskreisen verfügt. Uzun gründete im März mit dem berüchtigten Peter Kittelmann, einem Europa-Abgeordneten der CDU, in Berlin die „Deutsch- Türkische Union“ (DTU). Çakmakoglu und Demirbüken wurden bei der Gründung mit dem Argument außen vor gelassen, „sie seien viel zu sehr in Vereinsquerelen verstrickt“.

Uzuns Initiative, die DTU in einen den Frauen- und Jugendorganisationen der Partei gleichgestellten Rang zu erheben, stieß in Bonn auf Skepsis, und der Plan wurde erst mal auf Eis gelegt: Die Parteiführung wollte sich und ihren Altwählern Zeit lassen, sich mit der Idee einer türkischen Suborganisation anzufreunden.