„Drüben“ sitzt immer noch der Feind

Gezeichnet vom Krieg, wählen die Menschen im südafrikanischen KwaZulu/Natal heute zum erstenmal ihre Kommunalvertretungen. Danach, behaupten die Politiker, gibt es Frieden  ■ Aus Port Shepstone Kordula Doerfler

Die Erinnerung an die Nacht der Nächte ist qualvoll. Mavis Nyawose zittert heute noch, ihre Augen irren ziellos durch den dunklen Raum hin und her. Unvermittelt fängt sie an zu kichern, um dann wieder zu verstummen. Seit jenem Tag im Dezember ist Mavis Nyawose nicht mehr ganz dicht, sagen die Leute. Ihr Hinterkopf ist durch einen schweren Schlag deformiert, mehrere tiefe Narben laufen den Hals hinab. Mit Buschmessern und Äxten hieben die Angreifer auf sie ein, als sie zu fliehen versuchte. Dann wurde sie ohnmächtig. Es blieb ihr erspart, zuzuschauen, wie ihr Ziehsohn Kipha, lokaler ANC- Chef, bestialisch umgebracht wurde, wie ein Angreifer dessen Herz herausriß und aufaß, um sich seine Stärke einzuverleiben.

„Ich werde nie mehr Freude an Weihnachten haben“, sagt Mavis Nyawose. Am ersten Weihnachtsfeiertag letzten Jahres war in den frühen Morgenstunden eine Armee von 1.000 schwerbewaffneten Zulu-Kriegern in Shobashobane an der Küste von Natal eingefallen. Sie mordeten wahllos, plünderten und verbrannten ein ganzes Dorf. Die Bewohner flohen in wilder Hast, doch für viele war es zu spät. Fast 20 Menschen wurden grausam umgebracht, 50 schwer verletzt. Das Massaker brachte der Gegend den Namen „Todesfelder von Südafrika“ ein.

Heute, ein halbes Jahr später, leben rund 150 der Geflohenen in einem armseligen Zeltdorf des Internationalen Roten Kreuzes. Wasser und Strom gibt es nicht, in den schlammfarbenen Zelten herrscht Dunkelheit. Wenn die Dorfbewohner einkaufen oder Wasser holen wollen, geht das nur unter Polizeischutz. Denn auf dem Weg ins nächste Dorf, Izingolweni, liegt eine der vielen unsichtbaren tödlichen Grenzen der Provinz KwaZulu/Natal: Hier, rund um das Zeltlager, ist ANC-Gebiet. Drüben und rundherum regiert die Inkatha-Freiheitspartei (IFP). Von „drüben“ marschierte an Weihnachten die Mordtruppe ein.

Der Konflikt ist geradezu prototypisch für Natal. Kämpfe um Landbesitz wurden von beiden Seiten politisiert. Anfang der neunziger Jahre war die ganze Gegend noch fest in Inkatha-Hand. Doch eine Gruppe von Menschen um Kipha Nyawose lief zum ANC über. Mehrmals überfielen danach IFP-Anhänger Shobashobane. Im Dorf war aber auch ein Camp von bewaffneten ANC-Jugendlichen, die Angriffe auf IFP-Anhänger verübten.

Übrig bleibt jetzt nichts als verbrannte Erde. Selbst im subtropischen, immergrünen Natal ist kein Grashalm über die Spur der Verwüstung gewachsen. Die Häuser sind ausgebrannt und zerstört.

„Wir haben Angst vor neuen Angriffen“, sagt Anderson Nyawose, Cousin des ermordeten Kipha, „aber wir wollen in unsere Häuser zurück.“ Der 29jährige ist einer der ANC-Kandidaten für die Kommunalwahlen, die heute in der Provinz stattfinden sollen. Zum erstenmal werden die Bürger von KwaZulu/Natal demokratisch gewählte Stadt- und Gemeinderäte bestimmen, die wiederum die Bürgermeister wählen. Während in anderen Teilen Südafrikas solche Wahlen längst stattgefunden haben, mußten sie in der Krisenprovinz am Indischen Ozean zweimal verschoben werden: einmal, weil sich die Parteien nicht auf den Zuschnitt der Wahlkreise einigen konnten, und ein zweites Mal, weil der ANC eine freie und faire Wahl wegen der anhaltenden Gewalt für unmöglich hielt.

Mehr als 50 sogenannte „No-go- areas“ gibt es in ganz Natal: Gebiete, die für Anhänger der Gegenseite tödliches Terrain sind. Fragen nach dem Wahlkampf erübrigen sich in diesen Gebieten — auch in Izingolweni. Die Gegend gehört zu vier kritischen Punkten in der Provinz, die am Wahltag besonders streng bewacht werden sollen. 26.000 Polizisten und Soldaten werden im Einsatz sein.

„Südafrika ist schon immer ein zutiefst gewalttätiges Land gewesen“, sagt Douglas Hannaway im 30 Kilometer entfernten Port Shepstone an der Küste des Indischen Ozeans. „In der Zulu-Kultur gilt das Recht des Stärkeren. Man kann die Gewalt nicht einfach wie einen Lichtschalter ausdrehen.“ Der Mann weiß, wovon er spricht. Seit Anfang Juni ist er Chef eines Sonderermittlungsteams der Polizei an der Südküste von Natal. Insgesamt vier solcher Teams sind nach mehreren Massakern während des Jahreswechsels in der Provinz eingesetzt worden, um politische Gewalt aufzuklären und einzudämmen. Aber wer macht schon Zeugenaussagen in einem Klima von ständiger Angst, Einschüchterung und Rache, unter Bedrohung seines Lebens?

„Oft ist es sehr schwer zu sagen, ob es sich wirklich um ein politisches Verbrechen handelt oder nur um Kämpfe zwischen rivalisierenden Gruppen. Jedes Massaker hat seine eigene Geschichte“, sagt Hannaway. Werden Verdächtige der einen Seite festgenommen, sind die Ermittler sofort massiven Beschuldigungen der anderen Seite ausgesetzt. 32 Täter wurden nach dem Shobashobane-Massaker verhaftet — doch 30 davon sind gemäß dem südafrikanischen Strafrecht gegen Kaution wieder auf freiem Fuß. Frieden in Natal? Hannaway ist sehr skeptisch. „Weitere Massaker zu verhindern, ist für die Polizei eine unmögliche Aufgabe, wenn sie nicht die Unterstützung der politischen Führer vor Ort hat“, sagt der Ermittler. Wirkliche Anzeichen für Frieden, räumt Hannaway ein, gibt es nicht, obwohl seine Region in den vergangenen beiden Monaten ruhig war. „Wir können nur beten.“

Gebetet wird auch in der weit entfernten Metropole Durban auf einem Friedensgipfel, den die Kirchen der Provinz einberufen haben. Allen voran die anglikanische und die methodistische Kirche, haben sie vor ein paar Wochen die Initiative „Ukuthula“ (Zulu-Wort für Frieden) gegründet und bei der Politik um Unterstützung geworben. Die bekommen sie auch, denn es ist Wahlkampfzeit. Sogar Zulu- König Goodwill Zwelithini erscheint zum Treffen. Er ist selbst prominentes Opfer von Gewalt, seitdem eines seiner Häuser angegriffen wurde. Seine Tochter, Prinzessin Sibusile Zulu, tritt zum erstenmal seitdem in der Öffentlichkeit auf: an Krücken, mit tiefen Narben im Gesicht. Die Parteiprominenz der Provinz ist vertreten, von Ministerpräsident Frank Mdlalose (IFP) bis zu Jacob Zuma, Wirtschaftsminister und ANC- Vorsitzender.

Mdlalose hat am Tag zuvor eine neue Friedensinitiative zwischen beiden Parteien präsentiert, die vorsieht, gemeinsam für Frieden einzutreten — und, wie so beliebt im „neuen Südafrika“, Komitees zu gründen. „Wir brauchen dauerhaften Frieden — nicht nur für die Wahlen“, sagt Zuma. Warum aber sollte die neue Initiative Wirkung haben? Zumas Antwort ist erschreckend einfach. „Wir haben Fehler gemacht: Wir haben uns von der Nationalpartei während der Apartheidzeit spalten lassen. Das haben wir erkannt. Jetzt müssen wir uns auf unseren gemeinsamen Ursprung besinnen.“

Eines der geplanten Komitees soll mit den einflußreichen Zulu- Häuptlingen sprechen. Deren Sympathie für moderne Vorstellungen von Demokratie hält sich in Grenzen. Die meisten stehen Inkatha nahe und bilden deren Machtbasis. Zum Beispiel Chief Makhanya: Seit er 1991 das Häuptlingsamt von seinem Vater übernommen hat, herrscht in „seinem“ Ort Umbumbulu, 30 Kilometer südwestlich von Durban, Frieden. „Die Menschen hier haben andere Probleme“, sagt der 43jährige. „Sie sind arm, viele haben kein Wasser und keinen Strom, mehr als die Hälfte ist arbeitslos.“

Makhanya bestreitet, irgend etwas mit Parteipolitik zu tun zu haben, doch jeder in der Gegend weiß, daß er der IFP nahesteht. Nach Wahlplakaten sucht man in Umbumbulu vergeblich. Wer Wahlkampf machen will, muß den Chief um Erlaubnis fragen. Das Haus des Häuptlings, eines der besseren in der Gegend, ist ein armseliger Bau, mit Wellblech gedeckt. Die Familie hat immerhin Strom, und der Chief trägt als Attribut der Moderne ein Funktelefon mit sich herum und ist westlich gekleidet. Seine Funktion als Häuptling nimmt er sehr ernst. Er ist zuständig für die Bewahrung der traditionellen Zulu-Werte, für Landverteilung und Gerichtsbarkeit. Und das soll auch so bleiben. Die Arbeitsteilung nach den Wahlen ist für Makhanya klar: Die gewählten Räte und Bürgermeister sollen sich um die Infrastruktur kümmern und darum, daß es den Menschen besser geht. Alles andere bleibt so, wie es war. Sollten sich die neuen Räte in seine Aufgaben einmischen, meint der Chief, wird es zu Konflikten kommen.

Kein Wunder, daß Vertreter von Menschenrechtsorganisationen dem Frieden nicht trauen. Makubetse Sekhonyane vom „Komitee für Menschenrechte“, das seit Jahren die besten Statistiken und Berichte über die Lage in der Provinz erstellt, lacht bitter: „Wenn Sie hier zu einer Friedenskundgebung aufrufen, wird das ein Flop. Rufen Sie aber zu einem Angriff auf, kommen 2.000 Mann.“