■ Die Ursache für die Krise in den Beziehungen zwischen Deutschland und China liegt in der lange Zeit lauen Haltung Bonns in der Frage der Menschenrechte. Und die Leisetreterei des Klaus Kinkel hat wesentlich dazu beigetragen.
: Stille Töne e

Die Ursache für die Krise in den Beziehungen zwischen Deutschland und China liegt in der lange Zeit lauen Haltung Bonns in der Frage der Menschenrechte. Und die Leisetreterei des Klaus Kinkel hat wesentlich dazu beigetragen.

Stille Töne ernten lauten Widerhall

Nach dem Massaker an den Pekinger Studenten im Juni 1989 sprachen deutsche Politiker entschlossene Worte. In einer Entschließung formulierte der Bundestag, daß eine „positive Fortentwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen... künftig die Respektierung der elementaren Menschenrechte durch die chinesische Regierung voraussetzen“ würde. Etwas mehr als drei Jahre währte die Anstandsfrist. Dann wurden im Dezember 1992 die gegen China verhängten Sanktionen anläßlich einer Debatte zum Tag der Menschenrechte aufgehoben.

Bei seinem Antrittsbesuch in China im November 1992 hatte Außenminister Kinkel die „Normalisierung“ der zwischenstaatlichen Beziehungen proklamiert. Wegen seiner Leisetreterei auf chinesischem Boden zur Rede gestellt, verwies Kinkel auf die sanften, aber nachdrücklichen Töne der Diplomatie: „Durch stille Hilfe ist in Einzelfällen mehr möglich als durch laute Töne nach außen.“ Diese Art von Diplomatie materialisierte sich in der sogenannten Kohl-Liste, die der Kanzler im November 1993 bei seinem Staatsbesuch in Peking überreichte und auf der die Namen von 18 politischen Gefangenen verzeichnet waren. Diese Liste wurde bei den folgenden Staatsbesuchen in China beziehungsweise in Deutschland jeweils aktualisiert und „zur Prüfung“ übergeben. Der rasch zur Routine werdende diplomatische „Vorgang“ zeitigte keinerlei Wirkung, im Gegenteil. Kurz nach dem nächsten Kohl-Besuch im November 1995 wurde der Bürgerrechtler Wei Jingsheng in einem Schnellverfahren, das jeder Justizprozedur Hohn sprach, zu 14 Jahren Haft verurteilt. Chinaexperten interpretierten das Terrorurteil als Quittung für die Demonstrationen, deren Anblick dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng bei seinem Deutschlandbesuch nicht erspart geblieben waren. Gleiches ließe sich über den Hinauswurf des Korrespondenten der Frankfurter Rundschau in Peking, Henrik Bork, vermuten. Mit diesem Ergebnis sind keineswegs alle Formen der „stillen Diplomatie“ desavouiert, um so mehr aber die Lauheit und Konsequenzlosigkeit, mit der von ihnen deutscherseits Gebrauch gemacht wurde.

Die Grundposition der Bundesregierung gegenüber China umriß dann Kanzler Kohl anläßlich des Besuchs von Jiang Zemin am 21. Juli 1995. „Der Bundesregierung geht es um ein offenes Gespräch, das von dem gemeinsamen Bekenntnis zu den universalen Menschenrechten getragen ist. Es ist aber auch zu respektieren, daß es angesichts eines unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstandes und verschiedener kultureller Traditionen noch Differenzen bei der Ausgestaltung und beim Verständnis der Menschenrechte gibt.“ Der Pferdefuß liegt im Nachsatz, der die universelle Geltung der Menschenrechte, der bei der Wiener Konferenz von 1993 selbst China zugestimmt hat, entscheidend relativiert.

Wie leicht dieser Relativismus in offene Unterstützung des realsozialistischen Regimes umschlagen kann, lehrt der letzte Chinabesuch Kohls, bei dem der Bundeskanzler ohne zu Murren auch dem Besuch einer Militäreinheit zustimmte. Für die Öffentlichkeit in Deutschland war das etwas zuviel der „Normalisierung“. Auch in den Kreisen der CDU wagte sich unter Heiner Geißlers Führung eine Fronde der Kritik hervor. Diesem Druck der Öffentlichkeit ist Kinkels Auftreten bei der Debatte der Menschenrechtskommission in Genf im Frühjahr dieses Jahres zu verdanken, wo der Außenminister sich auf eine offene Konfrontation mit den Chinesen einließ. Schließlich mußte er etwas für seinen angeschlagenen Ruf als Champion einer „menschenrechtsorientierten Außenpolitik“ tun. Mehr aber noch sorgte dieser Druck für die Tibet-Debatte und jetzt die Resolution des Bundestages zur Lage der Menschenrechte in Tibet. Christian Semler