Die Rückkehr der Punk-Anarchie als Monsterrock: die vereinigten Sex Pistols kommen zur späten Kollekte

Wenn man in der Entmumifizierung der Sex Pistols unbedingt eine Konsequenz entdecken möchte, kann man das. Die rigide Ignoranz gegenüber Erwartungen – in diesem Fall die einer Generation, die Punk als ihren Initiationsritus ins kritische Erwachsenwerden empfand und die Sex Pistols als den Inbegriff der integren Rebellion – hat eine gewisse Logik. Denn mit viel gutem Willen kann man die Appetitlosigkeit, die einen befällt, wenn man feststellt, daß Paul Cook, Glen Matlock, Steve Jones und Johnny Rotten heute eher dem vollge-pissten, sonnenbrandroten Hooligan beim Dumpingurlaub an der Costa del Sol ähneln, als eine anarchistische Zerstörung der selbsterfundenen Etikette sehen.

Doch eigentlich weiß man, daß derartige Erklärungskonstrukte nur Verlegenheit sind, um sich nicht einzugestehen, daß die Sex Pistols von 1996 die Yes von 1977 sind: die Monstergruppe, die dumpfe Nostalgie mit hohen Profitwerten und fauliger Anspruchskünstlichkeit fördert. Aber weil man auch nicht aus dem moralischen Katasteramt argumentieren möchte, von wo aus man feststellen müßte, daß die Band heute ein Grundstück für sich beansprucht, das sie bei ihrer Gründung mit Erbrochenem und Unflat bedachte, wird man zum zynischen Schulterzucker. Warum nicht endlich die große Kohle abmelken, wo der Ruhm der Band in keinem Verhältnis zu ihrem Saldo stand – verdient haben immer die McLarens und Bransons Jungfrau. Und bevor man sich arm vor dem Fernseher zu Tode langweilt...

Nur der Kunstkritiker wird hier einwenden, daß gegenüber anderen Wiedervereinigungen zum einmaligen Abkassieren, etwa der Reunion der Velvet Underground, außer John Lydon keines der Mitglieder es zu einer musikalischen Weiterentwicklung gebracht hat, die eine neue Montage rechtfertigen würde. Hier geht es ums Geldverdienen und um überhaupt nichts anderes.

Ist es nun cool, John Lydons „I use the enemy“ als die dem närrischen Individuum angemessene Verhaltensweise im Kapitalismus anzuerkennen? Ist es dem heutigen „Così fan tutte“ entsprechend nicht viel richtiger, zuzugestehen, daß es Reichtum auch für schmerbäuchige Rockmusiker mit Fettkragen geben darf, die in ihrem Jugendwahnsinn aus Versehen die Musik revolutioniert haben und millionenfach Debatten, Bücher und heißgeredete Denkfelgen an Kneipentresen nach sich zogen. Eine Antwort muß man schuldig bleiben, denn letztlich entscheidet hier nur der Ekel oder die Punk-Romantik.

Aber eine Frage bleibt trotzdem übrig: Lohnt es sich, zu dem Konzert zu gehen? Oder ist die Sex Pistols-Tour nicht dasselbe wie die Uriah Heep-, Bay City Rollers- oder Sweet-Revival-Tour: eine würdelose Selbstdarstellung von Canastabrüdern, denen die Spätfolgen des Rock'n'Roll zu Gesichte stehen und die den Gedanken des Pop, den sie verkörperten, nie selbst verstanden haben? Wäre der angemessene Rahmen für die Geronto-Punks nicht eine Bädertour an der Ostsee? Vielleicht unter dem Titel „God save the Waterkant“?

Immerhin kann die Band ihre Stücke inzwischen wohl so spielen, daß man nicht mehr einen abgehalfterten Rock'n'Roller wie Chris Spedding hinter die Bühne stellen muß, der die schwierigen Gitarrenparts spielt – so angeblich geschehen bei der Einspielung von Never Mind The Bollocks. Aber wenn der Vergleich mit der einen Tag später zu Ende gehenden EM gestattet ist: Viel weniger fürchterlich als eine Heribert-Faßbender-Moderation kann ein sauberes Abspielen von Punk-Oldies auch nicht sein.

Till Briegleb

Helter Skelter-Festival des weiteren mit: Sugar Ray, Shelter, Dog Eat Dog, Cypress Hill, Sisters Of Mercy, H-Blockx am Sa, 29. Juni, ab 16 Uhr, Sporthalle