: Revolutionäre Fische und Fußball Von Karl Wegmann
Eigentlich wollten wir nur zusammen Fußball glotzen, aber als ich bei Willy auftauche, ist der richtig sauer. „Hast du das mit dem Australischen Lungenfisch gelesen?“, fragt er mich schon an der Tür. Australien spielt doch gar nicht mit bei der Europameisterschaft, schießt es mir durch den Kopf. Ich bin verwirrt. „Lungenfisch, nein, wieso?“ stammele ich und bring mich in Position vor den Fernseher, der zu meinem Entsetzen noch gar nicht läuft.
Willys Aufregung wächst. „Also, am Burnett River in Ostaustralien wollen sie einen Staudamm bauen und das bedroht die Laichgebiete des Australischen Lungenfisches. Dabei ist der Lungenfisch eines der letzten tatsächlich noch lebenden Fossilien, er hat sich seit Jahrmillionen nicht verändert und lebt nur noch in ganz wenigen Flüssen in Australien.“
Ich bin irgendwie nicht beeindruckt, starre nur auf den schlafenden Fernseher. Mein Desinteresse bringt Willy auf die Palme, er wird lauter. „Mensch, der Lungenfisch ist der direkte Nachfahre jener revolutionären Fischahnen, die sich erstmals an Land wagten und den Anfang der Evolutionsreihe für Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere wie den Menschen bildeten!“ schreit er mich fast an.
„Ist ja gut“, versuche ich ihn zu beschwichtigen, „ich seh's ja ein, ist 'ne echte Schweinerei, was die da mit dem Fisch vorhaben, aber was ist mit Frankreich gegen Tschechien, und wo steht das Bier?“ Willy überhört mich einfach. „Es gibt noch so viele Geheimnisse“, philosophiert er jetzt, „und die da unten wollen eines der interessantesten Forschungsobjekte einfach ausrotten. Was ist mit dir los, hast du dein Interesse für die Natur verloren?“ Mein Interesse für die Natur konzentriert sich im Augenblick auf ein Stück Rasen in Manchester, aber das sage ich ihm lieber nicht. „Hast du Desmond Morris' ,Warum hat das Zebra Streifen?‘ gelesen?“ fragt er. „Ich bin nicht sicher, ich habe ,Der nackte Affe‘ gelesen, aber...“ „Egal“, unterbricht er mich, „Morris weist auf jeden Fall nach, daß wir noch viel mehr Beobachtungen und Einsichten brauchen, um Tiere und uns selbst zu verstehen. Zum Beispiel weiß kein Mensch, warum das Zebra Streifen hat. Ich meine, jedermann weiß, daß das Zebra schwarzweiß gestreift ist. Warum hat es aber diese Streifen? Welche Aufgabe erfüllen sie, und sind sie für das Überleben des Zebras von Bedeutung? Es gibt neun Theorien zur Erklärung des Musters der Zebras, aber keine ist ganz schlüssig.“ Bevor er mir die neun Theorien erklären kann, bringe ich Willy schnell wieder zu den bedrohten Fischen zurück. „Vielleicht sollten wir ein Komitee ,Rettet den Australischen Lungenfisch‘ gründen“, schlage ich vor. Leider nimmt er mich ernst. „Genau!“ Seine Augen leuchten. „Erst einmal sollten wir Greenpeace informieren, ich meine, vielleicht haben die das noch gar nicht mitgekriegt, und dann starten wir eine Medienkampagne, man könnte zum Beispiel Patenschaften für Lungenfische anbieten...“
Willy ist nicht mehr zu bremsen. Statt Bier holt er jetzt Papier und Stift und fängt an, einen detaillierten Schlachtplan zu entwerfen; die Glotze bleibt kalt. Dafür lerne ich viel über Fische und auch einiges über die neun Theorien zu den Streifen der Zebras. Weiß jemand vielleicht, wie die Franzosen gegen die Tschechen gespielt haben?
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