Ein böses Erwachen für Karl Wienand

Der frühere SPD-Fraktionsgeschäftsführer wird wegen Spionage zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Wienand erklärt sich zum Opfer der Bundesanwälte und kündigt Revision an  ■ Aus Düsseldorf Walter Jacobs

Noch am Morgen im ARD- Frühstücksfernsehen hatte sich Karl Wienand so geäußert, als sei er von einem Freispruch überzeugt. Nur wenige Stunden später entpuppte sich die Prognose als falsch: Verurteilt wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit für die ehemalige DDR. Ein Schuldspruch, der, das räumte der Senatsvorsitzende Günter Kranz in der Urteilsbegründung freimütig ein, Wienands „Ruf und politische Biographie zerstört“.

Für den 4. Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts gibt es an der Schuld des ehemaligen SPD-Spitzenpolitikers und engen Wehner-Vertrauten nach gut einjähriger Prozeßdauer „keinen Zweifel“. Von 1976 bis 1989 habe Wienand dem früheren DDR-Geheimdienst Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) im Ministerium für Staatssicherheit „politische Interna aus der SPD“ und die Haltung von führenden SPD-Politikern zu deutsch-deutschen Fragen verraten. Sein Kontaktmann war über all die Jahre der Ostberliner Geheimdienstoffizier Alfred Völkel. Ihn verurteilte das Gericht gestern nur zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen.

Insgesamt habe Wienand für seinen Verrat 1,285 Millionen Mark aus Ost-Berlin bekommen. Dafür soll der langjährige Fraktionsgeschäftsführer der SPD- Bundestagsfraktion mit zweieinhalb Jahren Haft büßen. Zugleich muß der 69jährige, der seit seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im Jahr 1974 als Unternehmensberater tätig war, eine Million Mark an die Staatskasse zurückzahlen. Da er außerdem die Gerichtskosten zu tragen hat und ihm alle Pensionsansprüche im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung verloren gehen, stünde Wienand künftig auch wirtschaftlich ziemlich nackt da. Doch soweit ist es noch nicht. Noch im Gerichtssaal kündigte Wienand an, er werde „dieses Urteil nicht hinnehmen und Revision einlegen“. Das sei er all jenen schuldig, die wie er „zur Zeit des Kalten Krieges die Entspannung in Mitteleuropa gefördert“ und damit die „Wiedervereinigung“ möglich gemacht hätten.

Nach dem Urteilsspruch ging Wienand die Bundesanwaltschaft erneut hart an. Die sei ihm „von Anfang an mit Mißtrauen begegnet“, sie habe ihn „unbedingt zur Strecke bringen“ wollen. Über die Entscheidung des Gerichts könne er sich nur „wundern“. Das Urteil belege „das blinde Vertrauen“ der Richter „in die ferngesteuerte Arbeit der Bundesanwälte“.

Nun, so wunderlich ist das Urteil nicht. Schon durch sein auffälliges Aussageverhalten hat Wienand nach Überzeugung des Gerichts dokumentiert, „daß er etwas zu verbergen hat“. Immer wieder habe er „eindeutige Falschaussagen“ gemacht. Tatsächlich hatte Wienand den Ermittlern während seiner ersten Vernehmung erzählt, er habe sich mit Völkel nach 1975 nur zwei- bis viermal getroffen. An Zusammenkünfte im Ausland könne er sich nicht erinnern. In Wahrheit trafen sich die beiden in der Zeit von 1975 bis 1989 alle 6 bis 8 Wochen ausschließlich im europäischen Ausland. Insgesamt weit über hundert Treffs. Während Wienand behauptet, er habe Völkel während der ganzen Zeit für einen Mitarbeiter des DDR-Ministerrats gehalten und sei lediglich „abgeschöpft“ worden, hat die Beweisaufnahme nach Überzeugung des Gerichts erbracht, daß Wienand gegen Geld mit der HVA zusammengearbeitet hat.

Der Senat hält die Aussagen von zwei Offizieren aus der HVA- Zentrale, die seit 1986 mit der Auszahlung des vermeintlichen Agentenlohns in Höhe von monatlich 10.000 Mark befaßt waren, für „glaubwürdig und widerspruchsfrei“. Das für den Vorgang seit 1975 rund 100.000 Mark im Jahr zur Verfügung standen, hat auch der letzte HVA-Chef Werner Großmann vor Gericht eingeräumt. Großmanns weitere Aussage, Wienand sei aber nur „abgeschöpft“ worden, wertete der Düsseldorfer Senat als „Schutzbehauptung“. Wienand habe zwar keine Verpflichtungserklärung abgegeben, aber er habe gegen Geld Informationen geliefert, „die für die DDR von hoher Bedeutung und großem Nutzen waren“. Die Aussagen der HVA-Auswerter hätten das im Prozeß bestätigt.