Bäume können nicht ausweichen

■ Das Land Brandenburg führt bundesweit die Unfallstatistik an. Schuld sind nicht die Alleebäume, sondern Alkohol am Steuer und schnelles Fahren

Gemütlich fährt das Ehepaar aus Magdeburg mit seinem Auto auf der linken Spur der Autobahn Hannover–Berlin zum Wochenendurlaub nach Rügen. Plötzlich rast ein grauer Wagen heran, blendet auf, drängelt und wechselt auf die rechte Spur. Als er auf einer Höhe mit dem Wagen des Magdeburger Ehepaares ist, zückt der Raser eine Pistole und droht den beiden damit durchs Seitenfenster.

Gedrängelt, gerast und gehupt wird auf Brandenburgs Straßen jeden Tag. Seit Jahren hat das Land einen Spitzenplatz in der bundesdeutschen Unfallstatistik. Aber die Gründe dafür sind bisher ein Rätsel. Mit 302 Verkehrstoten pro eine Million Einwohner liegt Brandenburg bundesweit vorn, europaweit wird es nur von Portugal übertroffen. Das Risiko, auf den Straßen des Landes tödlich zu verunglücken, ist nach Berechnungen des Potsdamer Innenministeriums dreimal höher als in den alten Bundesländern. 102.223 Verkehrsunfälle registrierte die Polizei im vergangenen Jahr, 768 Menschen kamen dabei ums Leben, 21.714 Menschen wurden schwer verletzt. Zu schnelles Fahren, falsches Überholen, Mißachtung der Vorfahrt und Alkohol am Steuer sind die häufigsten Ursachen.

Warum das so ist? „Das müßte man mal psychologisch untersuchen. Besonders beschränkt sind die Brandenburger bestimmt nicht“, meint Innenminister Alwin Ziel. Ihm fällt auf, daß der Verkehr auf den Straßen des Landes anders rollt als im Rest der Republik: „Man fühlt sich im Vergleich ja richtig verkehrsberuhigt, wenn man mal in einem anderen Bundesland unterwegs ist.“ Verkehrsminister Hartmut Meer verweist auf die schmalen Alleen, die im einstigen Preußen angelegt wurden. Sie seien nun mal für Pferdedroschken und Soldaten konzipiert, nicht für schnelle Autos, „und die Bäume können nicht ausweichen“. Von den 768 Menschen, die im vergangenen Jahr bei Unfällen starben, endeten 405 an einem Baum.

Doch selbst wenn die Straßen saniert und verbreitert würden, helfe das nicht: „Je besser die Straßen sind, desto schneller wird gefahren, desto mehr Unfälle gibt es.“ Die dünne Besiedlung spielt nach Meers Ansicht auch eine Rolle: „Die Leute müssen eben 40 Kilometer bis zur nächsten Disko fahren.“ Entsprechend hoch ist die Zahl der sogenannten Disko-Unfälle. Zwischen 1993 und 1994 verunglückten nach Angaben der AOK etwa 4.000 junge Leute zwischen 15 und 29 Jahren in der Zeit zwischen 22 Uhr und 5 Uhr morgens; für 268 Menschen endeten die Diskonächte in der Leichenhalle. Von Gesche Tebben/AP