piwik no script img

Ein Königreich für ein Hähnchen Von Klaudia Brunst

Alles in allem war es ein deprimierender Sonntag gewesen. Meine Freundin hatte schon am frühen Morgen ihrer menstruellen Verstimmung lautstark Ausdruck verliehen und sich schließlich damit durchgesetzt, an diesem Tag nicht Fußball zu gucken – obwohl es für Deutschland um nicht weniger ging als um den Einzug ins Halbfinale – und Klinsi, wie sich später herausstellte – mit Verdacht auf Muskelfaserriß vom Platz getragen werden mußte.

Da waren wir noch auf der Anti- Papst-Demo, wo wieder nur die immer gleichen altbekannten Gesichter herumdümpelten. Bis auf das einer attraktiven, jungen Blondine, die meiner Freundin penetrant schöne Augen machte, während ich mit den Stick-in-ears meines Miniradios kämpfte, die natürlich ausgerechnet aussetzten, als Mehmet Scholl seine einzige Torchance mit einem unkontrollierten Knieschuß vergab.

Die von heftigen Menstruationsschmerzen verursachte schlechte Laune meiner Freundin besserte sich nicht einmal, als sich in der „Lindenstraße“ Tanja Schildknecht von der Junkieschlampe einen äußerst kontrollierten Zungenkuß verpassen ließ, und jetzt also tatsächlich auch diese Serie ihr Lesbenthema hat. „Gott, was die Schildknecht schon alles mitgemacht hat“, stöhnte meine Liebste und steckte sich die Wärmflasche noch etwas tiefer in ihre Jogginghose, „erst diese unglückliche Liaison mit ihrem Tennistrainer, dann schluckt die Mutter Tabletten und der Vater Schnaps bis zum Abwinken. Prostitution, Sex mit einem Behinderten – und jetzt auch noch das! Wie gut, daß das ihre Eltern nicht mehr miterleben müssen!“

Um den Haussegen wieder herzustellen, schlug ich nach dem „Weltspiegel“ vor, noch ein wenig im Kiez herumzubummeln – immerhin war CSD-Woche, und das große Straßenfest in der Motzstraße lockte mit diversen schwul- lesbischen Freßangeboten. „Au ja!“ erwachte da meine Freundin aus ihrer Gebärmutterverkrampfung, „ein knuspriges Hähnchen mit Pommes rot-weiß wäre jetzt genau das richtige!“ Sprach's, pfefferte die Wärmflasche in die Ecke, und stieg in ihre Stiefel.

Auf dem Straßenfest war viel los. Meine Freundin hielt konsequent an dem Ziel fest – und also Ausschau sowohl nach der Blondine als auch nach einer kleinen Zwischenmahlzeit. Von amerikanischen Spare Ribs bis zu japanischen Sojasprossen waren alle Nationen vertreten. „Habt ihr auch Hähnchen?“ fragten wir an jedem Stand. „Klar. Tofu mit Bambussprossen und Hähnchen“, kam zur Antwort. Oder: „Sicher doch, Chicken Kebab mit Knoblauchsoße.“ Wir hätten auch indisches „Chicken Curry“ oder mexikanische Hähnchen-Tortilla essen können. Oder spanische Paella mit Hühnchen, indonesische Hühnchenspieße mit Erdnußsoße und sogar französichen Coque au vin. Nur ein ordinärer Broiler mit Pommes war nicht aufzutreiben.

„Irgendwie ist mir das jetzt zuviel multikulti“, knatschte meine Freundin und wandte sich beherzt an die Festleitung: „Wißt ihr vielleicht, wo man hier leckere knusprige Hähnchen mit Pommes kriegen kann?“ fragte sie vorsichtig. „Wenn ihr unbedingt US-amerikanisch essen wollt“, zuckte der Typ vernichtend die Achseln. „Die Chicken Mc Nuggets drüben bei Mc Doof sollen ganz okay sein.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen